Dienstag, 27. November 2012

Die Zukunft des Journalismus und der Neoliberalismus


Zurzeit geistern zahllose Artikel durch die Presse über das Zeitungssterben und das Urheberrecht.


Die Frankfurter Rundschau musste in die Insolvenz gehen, die Financial Times Deutschland zieht sich zurück, Junge Welt und TAZ kämpfen ums Überleben und schalten sogenannte Paywalls. Und das ist nur die Spitze des Eisbergs. Blogs versuchen mit Flattr-Buttons und Crowfounding-Projekten (beides Plattformen für Kleinstspenden) auf die Füße zu kommen. 

Im Gegensatz zu etablierten Medien, die nun ums Überleben kämpfen, stehe ich erst am Anfang. Ich habe nie eine Ausbildung als Autor genossen. Das Problem mit Vollgas ins Nichts zu schreiben ist bei mir also schon länger Programm. Natürlich hoffe ich, dass ich meinen Platz finde – so viel zur Ehrlichkeit gleich am Anfang…

Guter Journalismus braucht in meinen Augen Raum und Zeit – viele erkaufen sich diese, in dem sie einem anderen Job nachgehen und in ihrer freien Zeit journalistisch tätig sind oder als Freiberufler am Existenzminimum herumkrebsen und immer wieder auf Unterstützung angewiesen sind. Es bleibt kaum noch eine Alternative. Ich finde das pervers. Zudem wird der Journalismus damit immer anfälliger für die Verlockungen der PR-Industrie. Das bedroht seine Unabhängigkeit. Idealismus ist sicher eine wichtige Triebfeder der meisten Journalisten – doch auf Dauer führt Idealismus allein selten zu einem gesunden Arbeitsumfeld – man gehe und frage die Mitarbeiter im sozialen Bereich nach ihrer Meinung…

Was sind die Ursachen dieser Entwicklung? Gibt es zu wenig guten Journalismus?  
Ich denke, das ist nicht von der Hand zu weisen; die Verkürzung auf diese These ist aber kaum haltbar. Denn diese Entwicklung hat viele Gründe. Ich glaube nicht, dass wir zu wenige gute und engagierte Journalisten haben. Oft vermisse ich jedoch klare Haltungen. Angesichts einer in weiten Teilen von PR und Lobbyisten beeinflussten Öffentlichkeit, halte ich diese Haltung für dringender denn je. Sicher muss Journalismus eine gewisse Ausgewogenheit bewahren - aber wird angesichts der massiven Fehlentwicklungen unserer Zeit kritischer, engagierter Journalismus, der die andere Seite der Wirklichkeit abbildet, nicht zur Pflicht?
Aber diese Haltung muss man sich auch leisten können. Schließlich sind heute die meisten Zeitungen von ihren Werbekunden abhängig. Das macht kritischen Journalismus besonders schwierig oder verkleinert den Kreis der Inserenten und Geldgeber deutlich…
Nur wenige Journalisten sind wohl in der glücklichen Lage dauerhaft nach ihrem Gewissen und nicht ausschließlich nach Relevanz aktueller Nachrichtenlage schreiben zu können und darin auch noch vom Verleger unterstützt zu werden.

Natürlich ist das Interesse an den aktuellsten Meldungen ausgeprägt wie nie zuvor. Doch für diese Neuigkeiten will keiner mehr bezahlen und viel interessanter sind die Hintergründe. Um die zu recherchieren, bedarf es natürlich Zeit.

Der Anspruch, dass Informationen generell nichts kosten dürfen ist in meinen Augen ein gravierendes Problem. Wobei ich bei dieser Frage ein wenig zerrissen bin: natürlich bin ich daran interessiert, dass Jeder Zugang zu Informationen hat; alles andere würde alles was ich in den letzten Jahren getan haben völlig Ad Absurdum führen. Dieser Zugang ist bitter nötig für eine engagierte Bürgerschaft – in meinen Augen eines der wesentlichen Fundamente einer freien Gesellschaft. Einer Gesellschaft, die sich nicht darauf konstituiert, dass man sich Informationen leisten können muss und Niemanden vom Bildungsprozess auszuschließt. Ein Exkurs über unser „Bildungssystem“ würde sicher an dieser Stelle den Rahmen sprengen – aber ganz gewiss liegt in der Bildung der Schlüssel für die Herausforderungen, denen wir uns gegenüberstehen. Alles andere als in die Bildung zu investieren ist kurzsichtig und fahrlässig!

Guter Journalismus kostet viel Geld. Investigativer Journalismus stößt sonst schnell an seine Grenzen; Reportagen zu den wichtigen Schauplätzen auf der Welt werden unmöglich – mal ganz abgesehen davon, dass ein Journalist auch irgendwie überleben muss…
Das muss nicht zwangsläufig heißen, dass die Informationen selbst Geld kosten – in jedem Fall haben sie einen Wert und müssen honoriert werden. Recherche, Filtern, Einordnung und Aufbereitung von Informationen ist ein aufwendiger und wichtiger Prozess. Doch es darf nicht auf eine Kosten-Nutzen-Rechnung hinauslaufen - diese Rechnung geht nicht auf. Der kritische Journalismus ist (ähnlich wie Literatur, die zum kritischen Nachdenken einlädt) für den Kapitalismus neoliberaler Prägung nur von höchst untergeordnetem Interesse – häufig sogar schädlich. Unser Wirtschaftssystem lebt ja nicht gerade vom kritischen Konsum… 

Doch, wenn sich nur noch Mainstream durchsetzt, sind die Kunst und der Journalismus auf lange Zeit tot. Dann dreht sich alles nur noch darum, die Erwartungshaltung der Kunden zu bestätigen, die wiederum durch die Medien aufrechterhalten werden. Wie will der Journalist / Künstler da noch überraschen, Akzente setzen und zu neuen Blickwinkeln anregen? Journalismus verliert so seine Kraft und Bedeutung!

Das heißt für mich: der Journalist / Autor / Künstler benötigt Raum und Zeit, um Ideen zu entwickeln, zu recherchieren, ohne dass er eine Garantie abgeben kann, ob sich das Ergebnis verkauft – das zu erwarten wäre absurd. Kreativität lässt sich nicht erzwingen und Meinungsvielfalt ist ein Wert an sich. Verschwindet die Vielfalt, entsteht der Einheitsbrei, für den viele tatsächlich nichts mehr bezahlen wollen.

Wer das Glück hat von Stiftungen, Literatur- oder Kunstpreisen zu profitieren, gehört einer kleinen Minderheit an und ich kann zu diesem Thema einen Artikel von Sybille Berg für S.P.O.N. empfehlen, der beschreibt welche Abhängigkeit dabei entsteht. Das verschärft das generelle Problem eher noch, da auch hier neue Literaten und neue Impulse wenige Chancen haben. Doch ich möchte mich dem Literaturbetrieb an anderer Stelle nochmal gesondert widmen, nach der Veröffentlichung meines Buches habe ich da auch Bild gewinnen können – viele der Punkte dieser Analyse lassen sich aber definitiv übertragen.  

Was braucht guter Journalismus also?

Bedingungen in denen er reifen kann! Wo gibt es in den Städten noch bezahlbaren Wohnraum / Ateliers / Büros für Künstler / Journalisten oder Start-Ups vorhanden, die nicht von heute auf morgen profitabel sein können, wenn sie es überhaupt werden? Vielerorts lässt man Büros lieber leer stehen, als sich über solche Nutzungskonzepte Gedanken zu machen. Zuletzt las ich auf eine ähnliche Einlassung bissige Kritik, was sich die Medienschaffenden einbilden würden – das Problem treffe andere doch viel härter. Diese Schieflage unterschreibe ich sofort: nur, was hilft dieses ewige gegenseitige Ausspielen? Hat nicht gerade guter und unabhängiger Journalismus genau die Aufgabe solche Probleme ins Blickfeld zu rücken? Ähnlich begeistert bin ich von dem ewigen Argument, man solle schön froh sein, wie gut es uns doch hier gehe im Gegensatz zur dritten Welt. Was zum Teufel soll das? Wann begreifen wir, dass die Probleme in unserer Welt miteinander verknüpft sind – heute mehr als jemals zuvor. Das Aufzuzeigen, muss Journalismus leisten können – um Möglichkeiten zur Veränderung hier wie dort abzubilden – und die Menschen von ihrer scheinbaren Hilflosigkeit zu befreien.

Wo ich gerade bei guten Argumenten bin: Ich habe schon leidenschaftliche Diskussionen geführt, in denen mir die Meinung begegnet ist, gute Inhalte würden sich immer durchsetzen. Ich halte das für einen Trugschluss, der mich an das Versprechen des amerikanischen Traums (die Menschen in vielen Kleinstädten der USA lachen schon lange nicht mehr) und dem verschissenen (Pardon!) Mantra des Neoliberalismus erinnert: Leistungsgerechtigkeit – wer nicht den Durchbruch schafft ist ein Minderleister. Leistungsgerechtigkeit ohne Chancengleichheit ist ein Witz!

Anmerkung: bevor ich schon hier und jetzt in abgrundtiefen Zynismus abgleite: zum Neoliberalismus möchte ich demnächst noch eine Liebeserklärung schreiben, darüber welch wunderbare Wortschöpfungen und -abwandlungen er uns schenkt, die uns helfen unsere Werte zu „optimieren“; was heute nicht alles sozial und konservativ ist! Erfreulich dass mein Uralt Word-Starter das Wort „Minderleister“ nicht kennt. Das bringe ich ihm auch nicht bei…

Wie soll ein Journalist das Risiko einer mutigen Reportage in einer Krisenregion auf sich nehmen können, wenn bereits das für ihn persönlich ein unkalkulierbares Risiko darstellt, angesichts der Frage wie er über die Runden kommen kann, selbst dann, wenn er seine Reportage unbeschadet übersteht und ein guter Artikel dabei entsteht?

Wie sollen tiefgründe Reportagen überleben, die von monatelanger Recherche mit offenem Ende leben? Und wenn sie entstehen, wer wird sich das Reportagen-Heft unter den heutigen Bedingungen leisten können?

Als Anstoß empfehle ich den Artikel von Schirrmacher mit einer umfassenden Analyse im Online-Angebot der FAZ vom 26. 11. 2012:  


Was mir in dem Artikel zu wenig betont wird, ist, dass die genannten Probleme nur ein Symptom einer tiefen gesellschaftlichen Krise sind (was ich hier in den Fokus gestellt habe), die durch die „Finanzkrise“ und die einseitigen „Lösungsansätze“ verschärft wird. Der schleichende Einfluss neoliberaler Gedanken auf den Journalismus und unsere Gesellschaft ist hingegen ausführlich und sehr aufschlussreich. Ich schließe mich vielen seiner Ausführungen an. Natürlich war die arabische Revolution keine Twitter- oder Facebook-Revolution - diesen Medien fehlt in der Tat viele echte partizipatorische Elemente und wahre Empathie kommt in den Netzwerken zwangsläufig zu kurz; als Informationskanäle (wobei Facebook inzwischen diese Streuung durch einen neuen Algorithmus massiv einschränkt), zur Entstehung kreativer Räume - vor allem aber als Katalysator waren und sind sie für die weltweiten Proteste (noch) von hoher Bedeutung und haben zu einer weltweiten Vernetzung geführt, die für die Geschichte einzigartig ist.
 
Entscheidend wird aber in meinen Augen sein, was die Aktivisten aus dem ziehen, was sie in den letzten Jahren in den Netzwerken erfahren haben. Denn ich denke, dass sich das Zeitfenster auf diesen Kanälen nach und nach schließt, bevor es sich unter Umständen gegen die richtet, die es für politische Zwecke genutzt haben; und noch stecken Alternativprojekte in den Kinderschuhen und es ist fraglich, ob sie je eine solche Relevanz entwickeln werden.
Vielleicht sind Mikrospenden über Schwarmfinanzierung wirklich (ein Teil der) Zukunft. Wahrscheinlicher müssen wir uns zu einer Gesellschaft entwickeln, die gemeinsam beschließt, solchen Kulturgütern generell einen Wert beizumessen und eine angemessene Bezahlung sicherzustellen. Gleichermaßen bedarf es einer Wertedebatte, die sich den vielen anderen offenen Fragen stellt: denen nach Energieversorgung, Wohnraum, Teilhabe, Pflege, dem Klimawandel, sozialer Gerechtigkeit, gerechter Bezahlung und Verteilung von Arbeit und Gütern. Der Journalismus muss dafür Anstöße liefern und die Politik und Wirtschaft unter Druck setzen – dann werden die Menschen wieder den Wert des Journalismus erkennen!


Es handelt sich hier nicht um ein Plädoyer dafür, Journalismus staatlich zu subventionieren, was zu Fragen führen würde, die in die völlig falsche Richtung führen würden (z.B. wie viele Journalisten es dann gäbe oder welche Meldungen sich verbreiten). Keineswegs. Dennoch brauchen Journalisten und Künstlern Freiräume, um kreative Prozesse zu initiieren und gute Ideen brauchen in ihrer Startphase eine Unterstützung. Das ersetzt natürlich nicht den Wettbewerb von Ideen. Es geht also darum Unterstützung zu ermöglichen ohne die Gesetzmäßigkeit von Angebot und Nachfrage außer Kraft zu setzen. 

Doch in der Tat frage ich mich, wie sich Existenzsicherung und Arbeit über den Selbstzweck hinaus - die einem Leben einen Sinn geben - besser voneinander trennen lassen. Das ist natürlich eine Aufgabe, die keiner dem Journalismus alleine verantworten kann; kritischer Journalismus kann Anstöße geben, die Debatte darüber muss gesamtgesellschaftlich stattfinden und ich bin überzeugt, dass diese Debatten noch deutlich an Fahrt gewinnen werden. Es ist an der Zeit für emanzipatorische Projekte wie beispielsweise dem Grundeinkommen oder /und einer gemeinschafts- und ressourcenbasierten Ökonomie, die Antworten auf die Fragen unserer Zeit geben kann. Der Reflex alle Kapitalismuskritik damit zu beantworten, dass der Sozialismus gescheitert sei, zeigt nur die Kurzsichtigkeit einer Debatte, die zu viele Extreme kennt und zu wenig gesunden Menschenverstand. Es kann zweifelsohne nicht um die Frage Sozialismus oder Kapitalismus gehen, sondern darum neue Wege zu finden. Zwischen totalitärer Gleichmachung und angeblich alternativlosem Marktradikalismus liegen glücklicherweise Welten…


Doch was machen wir in der Zwischenzeit? Und wie gestalten wir diesen Übergang? Das sind für mich die entscheidenden Fragen, auf die ich noch keine Antworten kenne. Doch eines ist sicher: lassen wir den Journalismus und die Bürgerrechte vor die Hunde gehen, wird das endgültig dazu führen, das wir extrem finsteren Zeiten entgegensteuern und der Gedanke der Solidarität bei vielen Menschen untergeht – weil die Meisten nur noch auf ihr eigenes Überleben schauen können. Wir stehen am Scheideweg: Ob dieses riesigen Vakuums, das schon heute besteht und sich weiter öffnet, letztlich zu einer Neubesinnung auf wahre Werte führt oder in einen furchtbaren Totalitarismus – ich wage es nicht zu prognostizieren – aber ich will es nicht darauf ankommen lassen!


Umso erfreuter bin ich über all die Initiativen, die schon entstanden sind und weiter entstehen, von denen, die sich auf den Weg gemacht haben, um für essentielle Werte und Menschenwürde einzustehen. Im Blog neue Wege des Journalismus findet sich eine Ergänzung zu diesem Artikel und einige Beispiele für multimediale Reportagen und eine spannende Weltreise auf den Spuren des modernen Journalismus...



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