Montag, 18. November 2013

Reisereportage: Der Markhatrek in Ladakh



Diese Wanderung habe ich im Juli 2013 unternommen.

Vorspiel

Sanft streifte der Wind mein Gesicht. Es war heiß in der Bergsonne Ladakhs und vor mir lag das Industal und die Bergkette der Stok Rangeausgebreitet. Dorthin würde mein Weg am nächsten Tag führen.Ich hatte mir denMarkhatreck vorgenommen. Eigentlich hatte ich diesen Treck bereits abgehakt, weil ich ihn als zu touristisch einstuft hatte. Erst die wunderbare Begegnung mit Julija, die gerade von diesem Treck zurückkehrt war, und mich überzeugte, es sei weiterhin schön diese Wanderung zu unternehmen, weilsich die Menge an Touristen in Grenzen hielte, änderte meine Überzeugung. Ich beschloss jedoch bereits in Spituk zu starten, während Julija wie die meisten Touristen von Chilling aus den direkten Weg ins Markhatal wählte. So fand ich mich am nächsten Tag an einer Brücke über den Indus unterhalb des Kloster Spituk wieder und machte mich auf den Weg.


Tag 1: Spitok - Zingchen

Es begann auf einem glühend heißen Plateau. Kein Schatten. Es war ein reiner Durchhaltemarathon. Es war keine gute Idee, mittags zu starten. Kaum hatte ich die fruchtbaren Indusufer mit ihren grünen Feldern und Pappeln verlassen, brannte die Mittagssonne unbarmherzig auf mich nieder. Ich passierte eine Zementfabrik. Selbst der Wind war heiß. Kurze Zeit später schlängelte sich unterhalb von mir der Indus durch einen zerklüfteten, langsam dichter werdenden Canyon. Vergleiche mit dem Grand Canyon sind nicht gänzlich abwegig. Einzelne Dörfer und kleine grüne Oasen mit Pappelnauf der anderen Flussseite, durchbrachen die Monotonie der Ebene.Große Militärkomplexe stellten einen extremen Kontrast zu der kargen, aber friedlichen Landschaft dar. Ich hatte nur eine Flasche Wasser bei mir. Kopfschutz ist was für Warmduscher. Der Rucksack wog mehr, als er wiegen müsste. Unten lockte das Blau des Flusses – unser Lebenselixier – selten erschien mir das bildlicher.




Am liebsten wäre ich hinuntergesprungen. Doch ich schleppte mich über die asphaltierte Straße inmitten einer Steinwüste. Miniatursandstürme zogen über die Ebene.In fünf Stunden fand ich nur einen einzigen Schattenplatz. Eine angebotene Mitfahrgelegenheit lehnte ich jedoch ab. Ansonsten begegnete mir keine Menschenseele. Mir ging eskeineswegs schlecht. Ich war froh nach einigen (über)entspannten Wochen, wieder unterwegs zu sein und es stellten sich einige Erinnerungen an meinen ersten und einzigen großen Treck ein, den ich 2010 in Nepal unternommen hatte. Zwar war die Landschaft nicht vergleichbar, aber dafür kamen mir vertraute Gedanken in den Sinn. Ich fühlte mich befreit und war sicher, das Richtige zu tun.
Schließlich endete die Asphaltstraße, ging in eine steinige Schotterpiste überund ich erreichte eine einfache Teestube unter freiem Himmel und kurz darauf Zingchan, ein kleines Dorf in einer engen Schlucht. 

Weiter führt die Straße glücklicherweise nicht. Frühere Pläne, eine Straße bis nach Markhazu bauen, hatte man glücklicherweise fallen gelassen. Der Weiler bestand nur aus wenigen Häusern und so fiel die Entscheidung für die Unterkunft nicht schwer. Kurze Zeit später betrat ich das erste Mal ein traditionelles Ladakhi-Haus. Über eine Steintreppe erreichte ich die weitläufige Küche, die mit glitzernden Töpfen und Krügen geschmückt war. Die Decke wurde von gewaltigen Holzpfeilern getragen. Über dem offenen Herd wurde Tee gekocht und Speisen zubereitet. Ich machte noch einen kleinen Spaziergang durch das Dorf.
 

Beim Abendessen traf ich auf zwei Brüder aus Hannover. Der ältere verbrachte einige Monate in Ladakh und wollte dem Jüngeren die Region zeigen. Sie hatten den ganzen Tag hier verbracht und warteten auf ihren Führer, mit dem sie am kommenden Tag aufbrechen würden.
Am Morgen spielte sich ein ungewöhnliches Schauspiel vor meinen Augen ab: die Dame des Hauses nötigte in einem kruden Spiel einem nepalesischen, ausgesprochen jungen Arbeiter ein großes Glas Schnaps auf. Als er dann nach mehr verlangte, drohte sie ihm spielerisch immer wieder mit dem Stock. Was dies nun zu bedeuten hatte, blieb mir verborgen. In jedem Fall glänzten die Augen des jungen Mannes vom Alkohol und ich hatte den Eindruck etwas zu sehen, was sich immer wieder so abspielte. Mir wäre der morgendliche Schnaps sicher nicht bekommen.



Tag 2: Zingchen – Rumbak – Yurutse

Kurz nach Zingchen verengte sich die Schlucht weiter.



Mehrfach musste ich den Fluss überqueren. Ich kam schwer in die Gänge. Offensichtlich hatte mir die Hitze am gestrigen Tag doch mehr zugesetzt als vermutet, und meine Kondition ließ zu wünschen übrig. Ich legte viele Pausen ein und wurde irgendwann von den beiden Brüdern überholt. Auf dem Weg sichtete ich ladakhiurials– eigentlich eine Ziegenart, die aber stark an Antilopen erinnert. Ich wurde nur auf die Tiere aufmerksam, als einige Steine in die Tiefe stürzten und ich der Tiere gewahr wurde, die auf einem halsbrecherischen Weg unterwegs waren, der meinen unmittelbaren Tod zur Folge gehabt hätte. Nach einigen Stunden erreiche ich ein Teezelt, das die Weggabelung zwischen Rumbak und Yurutsemarkierte. In allen Zelten auf dem Weg erhält man auch gefiltertes Wasser gegen ein kleines Entgelt. Dort traf ich Jacob und David, einen Israeli, der von Jacob den Spitznamen Super-Mario verpasst bekommen hatte - dazu später mehr. Wir taten uns zusammen, ohne ein Wort darüber zu verlieren und machten uns auf, um den kleinen Umweg nach Rumbak in Angriff zu nehmen. Ein wirklich sehenswertes Dorf. Von dort aus liefen wir über eine Abkürzung (die zum Glück wirklich eine war) nach Yurutse.








Yurutse war ebenfalls ausgesprochen schön gelegen, bestand allerdings nur aus einem großen Gasthaus, dessen Zimmer dennoch vollständig belegt waren. Wir konnten uns glücklich schätzen, in der Küche unterzukommen. Dort versprach es wenigstens relativ warm zu sein.Draußen wiegten grüne Felder im Wind. Im letzten Sonnenlicht leuchteten die Berge in unwirklichen Farben. In der Küche rezitierte der Hausherr stundenlang Mantras. Vor ihm saß ein Westler im Lotussitz mit geschlossenen Augen und lauschte ihm andächtig. Wir waren glücklich über unser dal – Reis mit Linsen und Gemüse. Die Nacht war kurz. 


Tag 3: Yurutse – Shingo

Ich wurde wach, als der Hausherr lautstark Mantras murmelnd in aller Herrgottsfrühe seine Milch schlug. In der Nacht hatten mich fiese Bettwanzen attackiert und mein Rücken zeigte einen großflächigen Ausschlag. Das Frühstück bestand ausChapati (eine Art Fladen), einem Omelette und Chai. Der Lunch für unterwegs war nahezu standarisiert auf diesem Treck. Je ein gekochtes Ei und eine Kartoffel, zwei Chapati, ein Mango-Saft und ein Schokoriegel. Nicht gerade magenfüllend – speziell bei dieser Art von Anstrengung. Aber irgendwie musste die Maggi-Mafia schließlich ihre Produkte abwerfen. Dazu später mehr.
Wir machten uns wieder auf den Weg. Schnell wurde klar, dass ich Mario und Jacob an diesem Tag nicht folgen konnte. In Zeitlupe quälte ich mich unendlich lang den kernigen Aufstieg zum Pass hinauf. Vor mir kroch eine junge Frau. Immer wieder stopptesie und stützte sich schwer nach Atem ringend auf ihren Wanderstock.Ich war jedoch kaum schneller. Die beiden anderen hatte ich längst aus den Augen verloren. Es war weniger das steile Gelände, als vielmehr die ungewohnt dünne Luft, die den Aufstieg schwierig machten.
Viel später stand ich endlich auf dem Pass und unterhielt mich kurz mit der Baskin, die seit Jahren in Bombay arbeitete und ihrem ausgesprochen sympathischen Führer. Wir befanden uns nun auf knapp 5000 Metern und vor allem der Blick zurück war ausgesprochen imposant.




Nun folgte ein langer Abstieg. Irgendwann erreichten wir ein Teezelt und ich ließ mich dort für einige Zeit nieder. Am Fluss rasierte sich ein Wanderer – das wäre wohl das letzte, was ich auf einem Treck machen würde. Upperclass! Das hielt den Schweizer Zeitgenossen jedoch nicht davon ab, sympathisch zu sein. Die Ansprüche sind eben verschieden. Ich erfuhr, dass Mario und Jacob erst eine viertel Stunde vor meiner Ankunft wieder aufgebrochen waren. Ich hatte vermutet, noch viel weiter hinterher zu hinken. Allerdings hatte ich längst entschieden, nicht bis nach Skyu durchzulaufen, sondern im nächsten Weiler zu übernachten. Ich gönnte mir zwei Tassen Tee und eine Maggi-Suppe – geradezu unheimlich, dass meggizu einem feststehenden Ausdruck geworden ist und überall in Ladakh verstanden wird. Nach Shingo war es nicht mehr allzu weit. Der Ort bestand aus drei „Gehöften“. Zwei davon waren Homestays. Ich entschied mich für das höher gelegene mit dem wunderbaren Garten.



Ich wurde von einer bildhübschen Ladakhi, die hier mit ihrem Sohn lebte, empfangen. Das Geld, das sie verdiente, finanzierte die Schuldbildung ihres älteren Sohnes. Ihr Mann hatte Arbeit als Führer gefunden. Dort traf ich den Schweizer wieder, der mit seiner englischen Freundin unterwegs war. Nach dem Abendessen, lud ich sie auf ein paar Züge ein und hatte fortan stundenlang kichernde Zimmernachbarn – die Zimmer waren über ein Fenster verbunden, das nur von einem Tuch bedeckt war.


Tag 4: Shingo – Sara

Am nächsten Morgen lief ich zunächst durch ein majestätisches Tal. Ich beschloss mir den Anblick mit einer Sportzigarette zu versüßen. Normalerweise rächt sich das. Doch als ich Skyu erreichte, und fortan im eigentlichen Markha-Tal unterwegs war, entpuppte sich der Weg nach den bisherigen Anstrengungen als dermaßen leicht, dass ich federnden Schrittes stundenlang immer weiterlief. Für eine Weile schlossen sich mir zwei Schweizerinnen, ein Deutscher und eine Französin an. Sie waren auf dem Weg zumStokKangri – ein Sechstausender, der für Expeditionen ausgesprochen beliebt ist – in der Hauptsaison enstprechend überlaufen.
Ein Gewitter zog auf. Nach den ersten Donnerschlägen und Blitzen, setzte starker Regen ein. Ich quälte mich noch bis Sara durch den Regen und fand dort Unterschlupf. Kurze Zeit später regnete es wie aus Kübeln. Der Familienvater stieg auf das Dach und begann, es notdürftig zu reparieren. Nachdem man meine Hilfe abgelehnt hatte, zog es mich zum Feuer und ich saß dort einige Stunden und sorgte dafür, dass es ausreichend Nahrung erhielt. Im Zimmer hatte ich Gesellschaft in Form von drei Briten, mit denen ich nichts weiter gemein hatte als den gleichen Heimatkontinent. Obwohl sie deutlich älter waren, erinnerten sie mich an Pubertierende im ersten Zeltlager. Es regnete die ganze Nacht durch.


Tag 5: Sara-Hangkar

Am Morgen hatte es endgültig aufgehört zu regnen. Und so setzte ich meinen Weg im Markhatal fort. Bei einer Flussquerung, die nach den schweren Regenfällen nur über einen Baumstamm möglich war, traf ich auf eine Gruppe von Israelis und einer Niederländerin. Für einige Zeit schloss ich mich ihnen an.
Es war angenehm, wieder einmal die unglaublichen Panoramen mit anderen Menschen zu teilen und die Gruppe war mir ausgesprochen sympathisch. Nach einiger Zeit mussten wir den Markha überqueren. Nach dem Regen war er stark angeschwollen. Wir fanden einen Abschnitt, an der wir den Fluss durchqueren konnten. Das ging zunächst gut. Doch als Josien und Shakhed durch den Fluss wateten, geschah es: die beiden liefen Hand in Hand durch den Strom. Das war keine gute Idee, da plötzlich eine der beiden ins Straucheln kam und beide mitsamt ihren Rucksäcken in den Fluss gezogen und mitgerissen wurden. Das war ein Schockmoment. Nach der ersten Erstarrung, handelte ich, rannteein Stück den Fluss hinab und es gelang mir, eine Hand zu greifen. Gal kam mir zu Hilfe und gemeinsam gelang es uns, die beiden aus dem Fluss zu ziehen. Josien hatte sich an einem spitzen Stein am Knie verletzt und der Rucksack von Shakhed war ziemlich nass geworden.Der Schock saß tief. Nach einer Verschnaufpause, setzten wir unseren Weg fort und stoppten am nächsten Gasthaus, um Tee zu trinken. Die beiden wechselten ihre Kleider. Nun konnten wir schon wieder lachen.
Wir passierten Markha, den größten Ort im gleichnamigen Tal.




Kurze Zeit später sahen wir eine imposante Felsnadel aus der Felslandschaft aufragen.



Danach erreichten wir die Techa Gompa (Gompa steht für Kloster). Über einen steilen Weg konnte man hinauf gelangen und von dort aus einen imposanten Blick über das Tal genießen. Das Kloster selbst jedoch blieb uns an diesem Tag verschlossen.



Als wir Umlung erreichten, wäre ich am liebsten dort geblieben, beschloss dann jedoch, mit den anderen bis nach Hangkar durchzuhalten. Dort fanden wir mit etwas Mühe einen Schlafplatz. Zu sechst teilten wir ein Zimmer – oder vielmehr ein Matratzenlager. Zu meiner großen Freude traf ich Jacob wieder. Was er über Super-Mario erzählte, stützte die weise Wahl seines Spitznamen. Er stammte aus einer Wüstengegend Israels und als es zu regnen begonnen hatte, war er ausgesprochen überrascht. In Ladakh sind solch heftigen Regengüsse selten.Nachdem es am nächsten Morgen noch immer nicht vollständig aufgehört hatte zu regnen, meinte er: „i am not walking. It doesn`t rain in the desert.“Und dabei blieb er auch und verbrachte den ganzen Tag in Markha. Um das wieder wett zu machen, beschloss er am nächsten Tag von Markha über Hangkar, Niamling und den folgenden Pass zu laufen. Das schaffte er auch, wie ich später hörte. Eine beachtliche Leistung.
Die Markha News hatten die Neuigkeiten bereits per Mund-zu-Mund-Propaganda an uns vorbeigeschmuggelt und jeder schien bereits von dem Missgeschick zu wissen. Josien und Shakhed waren fortan die beiden, die in den Fluss gefallen waren und bisweilen hörte ich die Geschichte und konnte dann nur anmerken, dass ich sie kannte, da ich die beiden aus dem Fluss gezogen hatte. Das Abendessen bestand aus einer Art Pasta und war köstlich. Eine willkommene Abwechslung.


Tag 6: Hangkar – Langtang

Nun sollte unser Weg zum Highlight des Trecks führen – der Niamling-Ebene und einer Reihe von Sechstausendern.
Wir passierten eine Gruppe wilder Esel.
Der obere Teil von Hangkar war wunderschön und auf einem Felsen thronte eine der Trutzburgen, die an Zeiten erinnerte, als Kriege um diese Region geführt wurden.


Copyright: Josien

Wir kamen zurück zum Fluss und überquerten ihn kurzerhand über eine ausgesprochen schiefe Brücke. Kurze Zeit später trafen wir auf ein älteres Pärchen. Der Mann mit dem schlohweißen Bart erzählte mir, wie wenige Leute diese Route wählten. Ich war erstaunt, aber es machte nicht Klick. Auch dann nicht, als er mir einen Geheimtipp nannte – ein Kloster, wo sie eine einfache Mahlzeit erhalten hatten. Es bestätigte mich eher – das konnte nur der richtige Weg sein, wenn wir hier auf andere Wanderer trafen. Ich war noch nicht ganz wach.
Mit der Zeit kamen mir dann aber unabhängig davon Zweifel, Itzik war aber vollständigüberzeugt. Ich konnte mir aber immer noch vorstellen, richtig zu laufen, auch wenn ich mich fragte, wann es endlich richtig bergauf gehen würde.Um das herauszufinden, ging ich weit voran. Schließlich sah ich den Kangyatse auf der falschen Seite aufragen. Ein Abzweig führte in diese Richtung. Dennoch setzten wir unseren Weg noch ein wenig fort – das konnte kaum wahr sein.Kurz vor einem kleinen Zeltlager, an dem wir uns über den Weg erkundigen wollten, trafen wir einen Franzosen.Dessen Guide bestätigte, was eigentlich schon sicher war – wir hatten uns auf den falschen Weg begeben; wir befanden uns im Langtang-Tal.



Auf dieser Route würde drei Tage lang kein Dorf folgen – ausgesprochen ungünstig ohne ausreichende Verpflegung und Zelt. Der Abzweig, den ich zuvor gesehen hatte, führte zwar tatsächlich über das Basislager des Kangyatse nach Niamling – doch der Guide versicherte uns glaubhaft, es sei zu spät, um diesen Weg zu gehen, weil wir unweigerlich in die Dunkelheit kommen würde. Er riet uns, den gleichen Weg nach Hangkar zurückzugehen und dann im ersten Zeltlager auf dem richtigen Weg nach Niamling zu übernachten. Unsere Begeisterung könnt Ihr Euch sicher vorstellen. Aber was blieb uns anderes übrig? Also machten wir uns daran, erneut all die Flussquerungen in Angriff zu nehmen, die hinter uns lagen. Wir wussten, dass wir uns nun beeilen mussten. Wir hatten eine große Strecke zurückgelegt. Doch nun war es nicht mehr der gleiche Fluss, der bislang unser Begleiter gewesen war. Durch das Schmelzwasser der Gletscher schwoll er immer weiter an. Und so wurde es zunehmend schwieriger, den Fluss zu queren. Zwar existierten stellenweise Pfade über Steilstücke, so dass sich eine Querung theoretisch vermeiden ließ – praktisch waren diese Wege so stark erodiert, dass es Wahnsinn war, sie zu begehen. Langsam setzte die Dämmerung ein. Nun erreichten wir einen Abschnitt, der ohne Seil kaum noch zu überqueren war. Doch ein Seil hatten wir nicht. Das hätten wir auch eigentlich nicht gebraucht. Wir verbrachten fast eine Stunde damit, auszuloten, wo der Fluss vielleicht doch Möglichkeiten bot, um auf die andere Seite zu gelangen. Als wir schon fast aufgegeben hatten, wagte ich es doch noch – und es gelang. Nun lag es an den anderen. Einer nach dem anderen folgte mir durch die reißende Strömung – drei von fünf mussten wir aus dem Fluss ziehen, bevor sie mitgerissen wurden. Wir hatten eine Menschenkette gebildet. Nun schien es geschafft. Das musste die letzte Querung vor Hangkar gewesen sein.
Doch weit gefehlt: schon nach wenigen Minuten wussten wir, dass es noch einer weiteren Überquerung bedurfte, um eine Unterkunft zu erreichen – dieselbe die wir am Morgen verlassen hatten. Wieder verbrachten wir über eine Stunde dort, um die Lage auszuloten.Galtestete mit seinen Teleskopstangen die Tiefe an verschiedenen Stellen. Itzik und ich suchten den ganzen Flussabschnitt ab – doch schließlich mussten wir anerkennen, dass dies endgültig zu gefährlich war – schon das letzte Mal hatten wir nur mit Glück überstanden. Wir waren zu sechst – es war einfach zu wahrscheinlich, dass es mindestens einen von uns erwischen würde – falls es überhaupt möglich war. Da standen wir also. Es würde gleich dunkel werden. Wir hatten kein Zelt. Nun hieß es, sich auf eine bitterkalte Nacht einzustellen.




Der Gipfel der Frechheit erschien uns ein Duo, das vollausgestattet auf der anderen Seite des Flusses campierte. In Schlagdistanz – und doch unerreichbar. Glücklicherweise hatte jeder ein wenig Essen dabei, so dass wir nicht hungern mussten. Ich habe mich selten so über ein paar Cracker, Käse, Nüsse und eine Dose Thunfisch gefreut.Am Ende unseres improvisierten Mahls waren wir alle satt. Noch besser war, dass keiner in Panik geriet, auch wenn sicher jede seine Bedenken ob der Kälte in sich trug. Itzik und ich verbreiteten betont gute Laune. Und zwei Joints halfen ebenfalls, um die Gedanken in die richtige Richtung zu lenken. Immerhin waren drei von uns gerade vom israelischen Militärdienst zurückgekehrt. Wir fragten uns, was wohl Jacob denken musste, nachdem wir nicht in Niamling auftauchen würden.
Der Sonnenuntergang war dramatisch. Nun hieß es durchhalten. Wir zogen alle verfügbaren Kleider, Schals und Decken über uns. Glücklicherweise hatten wir alle einen Schlafsack dabei - außer Gal; der Arme fror die ganze Nacht durch erbärmlich. Allerdings hatten wir keine Isolationsschicht, um uns gegen den eisigen Boden zu schützen. Das würde das Hauptproblem sein. Zunächst schien es durchaus erträglich zu sein, doch schnell kroch die eisige Kälte durch alle Kleiderschichten und es wurde unerträglich. Die ganze Nacht wälzte ich mich von einer Seite auf die andere. Die Kälte lähmte alle Gedanken. Man denkt nur noch daran, zu überleben. Durch den Vollmond war es immerhin einigermaßen hell und immer wieder vertrieb ich kurz aufkommende miese Gedanken durch einen Blick auf die majestätische Kulisse und Gedanken über die Absurdität unserer Situation – sich auf diesem verhältnismäßig leichten Treck verlaufen zu haben und nun draußen zu campieren, was mir jedes Mal ein dümmliches Grinsen aufs Gesicht zauberte. Und irgendwann ist auch die längste Nacht zu Ende. Zweifelsohne war dies die kälteste Nacht unseres Lebens. Wir waren alle erleichtert, als es hell wurde und der Fluss wieder quer bar war. Es stellte eine gewisse Herausforderung dar, völlig durchgefroren durch den eisigen Fluss zu waten. Nur schreiend, ließ sich das ertragen. Nachdem wir wieder die vermaledeite Brücke überquert hatten, sahen wir den Wegweiser, der in die richtige Richtung wies, sich aber sinnigerweise erst hinter der Brücke befand. Ein wenig peinlich war allerdings, dass vor diesem Abzweig in meinem Buch gewarnt wurde – ich hatte aber beschlossen, nicht ständig in das Buch zu schauen und als wir die schiefe Brücke gesehen hatten, war uns nur die Frage gekommen, wie man sie wohl am besten überqueren konnte. Es war auch Niemand in der Nähe, den wir in diesem Moment hätten fragen können. In jedem Fall ein Fehler, der gefährlich werden kann, immer wieder passiert und durchaus schon Wanderern zum Verhängnis geworden ist. Wir hatten nur gefroren und dafür gesorgt, dass uns nicht langweilig wurde…
Während die anderen fünf für ein Frühstück in die „Lodge“ des vorigen Tages nach Hangkar zurückkehrten – wo sie von einer kopfschüttelnden Wirtin begrüßt wurden: „nodinner?Norice? Nohomestay?Nochapatti?” – beschloss ich, gleich weiter zu gehen, um nicht in die Versuchung zu kommen, unmittelbar ein Bett aufzusuchen.


Tag 7: nowhere – Niamling 

Es dauerte länger als erwartet, um das nächste Zeltlager zu erreichen. Ich hatte nichts gefrühstückt. So war ich froh, die Ansammlung von Zelten zu erreichen und eine Nudelsuppe und Tee zu mir zu nehmen. Ich kam sogar in den Genuss von etwas Müsli. Ich verweilte einige Zeit und wusch mich notdürftig. Über das Tal hinweg schwebten Lammergeier und Goldadler mit ihren gewaltigen Schwingen. Als ich mich gewärmt hatte und endgültig wach war,setzte ich meinen Weg fort und es wurde nun steiler. Allerdings hatte ich mir den Anstieg nach Niamling schwerer vorgestellt, als er letztlich war. Nun war ichwesentlich besser akklimatisiert. Die Panoramen, die sich von dem Höhenweg boten waren berauschend.






Nach einiger Zeit erreichte ich einen kleinen Gletschersee, hinter dem sich der Kangyatse diesmal von der richtigen Seite abzeichnete. Seine Reflektion auf dem kristallklaren See war sehenswert.




Der Weg zog sich nun doch. Als ich die Ebene von Niamling erreichte, war ich zunächst ein wenig enttäuscht. Einzig die ungewöhnlichen Farben und der Anblick auf die Spitze des Kangyatse setzten Akzente in der Landschaft. Der Weg für den nächsten Tag ließ sich deutlich erkennen. Das schien nicht übertrieben schwer zu sein und würde das letzte größere Hindernis darstellen. Das einzige Zeltlager war verhältnismäßig teuer (12,50 Euro). Kurze Zeit später erreichten auch die anderen die Ebene. Ich machte mich noch einmal auf, um mich in Richtung Basislager des Kangyatsezu begeben. Nach einem anspruchsvollen Steilstück, wurde es deutlich flacher. Allerdings wurde es langsamrichtig kalt. Ich suchte mir einen schönen Felsen – etwa zwei Drittel zum Basislager hatte ich hinter mich gebracht. Damit war ich zufrieden. Ich rauchte eine Sportzigarette im Angesicht des imposanten Panoramas. 

Auf dem Weg nach unten passierte ich eine große Schafherde und betrachtete einige Pferde, die wunderbar in diese Kulisse passten.




Aus der Ferne sah ich die beiden Brüder, die mir in Zingchen begegnet waren. Sie hatten es geschafft. Respekt! Während des Sonnenuntergangs zog eine große Schaf- und Ziegenherde über die Brücke des Flusses.




Der Schlaf war hochwillkommen. Nach der eisigen Nacht zuvor, reichte mir nun eine Decke und ich fühlte mich mollig warm.


Tag 8: Niamling – Chogdo


Als ich mich in den Morgenstunden mühsam aus meinem Zelt schälte, waren bereits alle anderen aufbruchsbereit oder gestartet. Nachdem ich mir die kargen Reste des Frühstücks einverleibt hatte, folgte ich ihnen. Das erste Steilstück erwies sich doch als ausgesprochen anspruchsvoll und es kostete einige Zeit, Schweiß und Anstrengung, um nach oben zu gelangen. Der Blick war interessant, allerdings war es zu bewölkt, um die ganze Gruppe der verschiedenen Kangyatse-Gipfel zu erkennen. Ich war kurz enttäuscht, aber insgesamt ausgesprochen zufrieden.



Außerdem war es schön mit der Gruppe hier oben zu stehen, mit denen ich inzwischen einiges erlebt hatte. Das schweißte zusammen:



Bergab war ich nie der Schnellste – mein Knie reagiert auf steile Abstiege allergisch und so wäre ich lieber bergauf gegangen. Endlose Serpentinen führten hinab. Auf der extrem steilen rechten Bergflanke, erblickte ich eine Gruppe blue sheep – Wildschafe, die an junge Gazellen erinnern. Zu ihrem Unglück sind sie die bevorzugte Beute des Schneeleoparden. Es macht also Sinn, sich in die Berge zurück zu ziehen. Von den Menschen hält man schließlich auch besser einen Sicherheitsabstand. Hier waren sie jedoch recht sicher.
Im Gegensatz zu den anderen, wollte ich nicht den ganzen Weg bis nach Shang Sumdo durchlaufen, sondern eine letzteNacht in Chogdo verbringen würde. Es war ein einladender Ort.




Ich fand eine schöne Unterkunft, setzte mich in den Garten, genoss die intensive Nachmittagssonne und ließ Rauch durch meine Lungenflügel ziehen. Ich betrachtete die Bergwelt, die mir schon so vertraut zu sein schien. Ich wollte die Berge am liebsten gar nicht mehr verlassen.Am liebsten wäre ich noch ein paar Tage weitergelaufen. So würde ich sobald wie möglich zurückkehren. Beim Abendessen, das wie fast immer aus Dal bestand unterhielt ich mich mit den zwei anderen Gästen über unsere Wanderung. Der Hausherr saß auf dem Teppich und sandte mit den Drehungen seiner Gebetsmühle seine Wünsche in den Äther. Ich fühlte Frieden im Herzen.


Tag 9: Chogdo - Shang Sumdo - Leh

Der letzte Tag war unspektakulär. Der Weg nach Shang Sumdo dauerte keine zwei Stunden. Und von dort aus, fuhr ich mit den beiden anderen zurück nach Leh. Nach der herrlichen Bergluft, waren die Abgase der Stadt kaum zu ertragen und ich beschloss, bald die nächste Wanderung in Angriff zu nehmen. Ich traf sofort auf Galund er bot mir an, sein Zimmer zu teilen. Am Tag darauf traf ich auchCaspar wieder. Die nächsten Wochen würden wir zusammen rumhängen, die Vorzüge der vielfältigen Restaurants und guten Kaffees zu genießen, bevor es zu meiner bisher anspruchsvollsten Wanderungen kommen sollte. Den Bericht dazu findet ihr hier:



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Demnächst folgt mein Bericht über Hundar im Nubratal mit seinen Kamelen und das muslimische Dorf Turtuk an der Line of Control zwischen Indien und Pakistan.

In Varanasi entsteht aktuell eine Geschichte über die Begegnung mit dem Tod.

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