Sonntag, 14. Dezember 2014

Reisereportage: auf großer Deutschlandfahrt – ein Herbstmärchen




Meine Deutschlandfahrt war eine gewaltige Reise. Sie führte mich in alle vier Himmelsrichtungen. Die Reise war maßlos, voller Eindrücke, Begegnungen, Gedanken und Emotionen; ich saugte die Eindrücke auf wie ein Schwamm und daraus destillierte sich eine Parabel auf meine Existenz…


Aufbruch

Alles fing damit an, dass ich von guten Freunden in meine alte Heimat nach Stuttgart zu einer Lesung von Helge Timmerberg eingeladen wurde. Der gute alte Helge begleitet mich schon seit sechs Jahren literarisch und sein neues Buch wollte ich mir gerade kaufen. Viel besser hätte der Zeitpunkt zu der Einladung kaum sein können. Denn ich befand mich im luftleeren Raum und erholte mich gerade langsam von den dunklen Monaten, die den Abschluss meiner letzten Reise und die Ankunft in Deutschland geprägt hatten. Die Hoffnung war zwischenzeitlich vollständig verschwunden, ich wähnte mich am bitteren Ende angekommen und es war ein kleines Flämmchen in mir, das seit einer guten Woche langsam größer wurde. Seit Wochen saß ich über meinen Texten zu meinem zweiten Buch und ich musste mich endlich von meinen Geschichten lösen, um mich danach – mit mehr Distanz – erneut an die Arbeit zu machen.

Zunächst fuhr ich mit der Bahn von Bremen nach Stuttgart. Ich fütterte mein Notizbuch mit ersten Notizen. Ich machte mir, wie so häufig, Gedanken über das Wesen und die Bedeutung des Reisens. Wenn ich mich auf dem Weg in ein ungewisses Abenteuer befinde, geht mir das Herz auf. Ich begebe mich in Traumwelten, spüre mein Herz im Beat schlagen und die tiefe Sehnsucht in mir, die mich zu neuen Ufern zieht. Oft ist diese Stimmung von einer Mischung aus Freude und Trauer geprägt: Freude, dass ich dieses unstillbare Verlangen nach unbekannten Welten überhaupt besitze, dass ich Träume in mir trage, die mir niemand nehmen kann, dass ich ein hoffnungsloser Romantiker bin; und genau da sitzt auch die Trauer und der Schmerz: die Befürchtung, dass meine Träume niemals wahr werden, dass ich mich auf ewig auf der Suche befinden könnte, ohne jemals zu finden, dass meine Hoffnung nach tiefer Liebe niemals ihr Ziel findet. Gleich darauf will ich die Tiefe dieser Empfindungen niemals missen und weiß genau, dass ich gar nicht alle Träume erfüllen darf, weil mit ihnen auch jede Spannung verloren ginge und sich statt Zufriedenheit Sättigung einstellen würde. Diese Klaviatur der Gefühle erfüllt mich auch auf kleinen Fluchten. Doch mir stand weit mehr als das bevor.


wenn ich Burgenblogger von Deutschland wär

Und spätestens als ich die wunderschöne Strecke am Rhein entlangfuhr, der Inbegriff der Romantik, mit dem Blick auf den Loreley-Felsen und all die spektakulären Burgen, die über dem Rhein thronen, befand ich mich in Hochstimmung; als mir meine wahnwitzigen Gedanken zur Aktion „Deutschland sucht den Burgenblogger“ in den Kopf schossen, war es ein schelmisches Grinsen, das sich um meine Lippen spielte und der Wahnsinn lachte aus meinen Augen und versprühte Funken, die durch meinen Cortex hindurch in meinem Resthirn ein Feuerwerk abbrannten.
Denn was ich daraus gemacht hätte, wäre mit Gefängnis und/oder Psychiatrie geahndet worden. Was hätten die Auftraggeber für Augen gemacht, wenn ich spielend langsam von überbordender Begeisterung für den hochdotierten Job in einen formidablen Wahn abgeglitten wäre. Man hätte wohl noch gelacht, als ich den Job zu ernst nahm und in Ritterrüstung auf dem Pferd den anderen Burgleuten einen Antrittsbesuch abgestattet hätte. Zuvor hätte ich ja immerhin einige anständige Interviews zum Thema, dem „Spannungsfeld zwischen Rhein-Romantik und Mittelrhein-Realität“ produziert. Denn das Mittelrheintal ist ein Nadelöhr zwischen Nord- und Südeuropa. Hunderte Züge donnern jeden Tag durch, riesige Containerfrachter quetschen sich durch den Rhein. Ein spannendes Thema. Doch irgendwann wäre mir das ganze Unternehmen entglitten, ich hätte mich so intensiv mit den Mythen unserer Vorfahren beschäftigt, dass ich irgendwann nur noch alchemistische Formeln vor mich hingebrabbelt hätte und in Spelunken mächtige Humpen in mich hineingeleert hätte. Schizophrenie war schließlich das einzige, was mich vor der dauerhaften Inhaftierung schützen konnte. Denn jetzt würde erst die richtige Endstufe gezündet; was bis hierhin als Schrulligkeit durchgehen konnte, würde nun vollständig eskalieren: Nun hätte ich begonnen, eine Streitmacht um mich zu scharen. Ich hätte jeden aufgenommen, der genug Irrsinn besaß. Nachts hätten wir Nachtschattengewächse aller Couleur zusammengebraut, um uns in Kombination mit Met in einen anständigen Rausch zu versetzen. Schließlich wären wir dazu übergegangen, mit Don-Quichotte-Guerilla-Taktiken die ersten Züge und Schiffe anzugreifen – natürlich in standesgemäßer Montur: auf Pferden in Rüstungen reitend, Streitäxte und Morgensterne schwingend, mit Katapulten und dem ganzen anderen Scheiß im Gepäck. Wie konnte man besser das Spannungsverhältnis zwischen Mittelalter und Moderne herausarbeiten? 
Wir hätten die Landknechte mit mittelalterlichem Brauchtum gequält, Allianzen geschmiedet, ungeliebte Nachbarn überfallen und das Land in eine neue Finsternis geführt. Schließlich hätten wir uns unserer Burg verschanzt und unsere Feinde mit Pech übergossen.
Schade eigentlich, dass ich meine Bewerbung unter dem Titel „wenn ich Burgenblogger von Deutschland wäre“ nicht abgeschickt habe. Natürlich hätte ich erstmal tief gestapelt. Wahrscheinlich wäre das interessanter geworden, als das, was in Wirklichkeit passieren wird. Schon die Gedanken daran ließen mich strahlen wie die Atomfässer in der Asse.

Aber bei allem Quatsch ist der Kern ernst. Hier ging es um puren Gonzo-Journalismus und ähnlich wie Hunter S. Thompson sich mit seinen Persiflagen an der Pervertierung des amerikanischen Traumes abarbeitete, so stand ich in seiner Tradition, mein Angriffsziel war nichts anderes als die globale Ausbreitung dieses Virus mithilfe einer extrem einseitigen Globalisierung, mit seinem Wachstumswahn und der Totalökonomisierung aller Lebensbereiche.

Bei Mainz musste ich dann kurz an meine Rückkehr einige Monate zuvor denken. Was für eine Hypothek hatte ich mir am Ende meiner letzten Reise aufgeladen, es war ein Wunder, dass ich noch einmal meiner eigenen Finsternis entstiegen war. 


ins neue Herz Europas

Dann erreichte ich den amputierten Stuttgarter Hauptbahnhof. Wobei dieses Kapitel für mich inzwischen weitgehend abgeschlossen ist. Ich lebe im Exil.
   
Erste Station im „neuen Herzen Europas“ war mein Freund Ralf, mit dem ich knapp zwei Jahre in einem geschlossenen Wohnheim für psychisch erkrankte Menschen gearbeitet hatte. Der Kontakt ist nie abgebrochen und noch heute interessiert mich das außergewöhnliche Arbeitsfeld. Dort wird ernsthaft versucht, für Menschen Lösungen zu finden, die sonst keinen Anwalt haben. Auch ein Blick in seine umfangreiche Bibliothek verrät schnell, wie eng verwoben unsere Sicht auf die Welt ist.
Es war mir eine besondere Freude, meine Reise bei ihm zu beginnen. Ich kenne wenige Menschen, die so uneitel, warmherzig und authentisch sind. Und so saßen wir wie gewohnt in seiner Küche, tranken Bier und tauschten uns über die letzten Ereignisse aus und kokettierten über sein „Spießerleben“ und meine unkonventionelle Existenz. In Wahrheit verlaufen die Bruchrillen zwischen uns wesentlich subtiler. Es ist in erster Linie eine Generation, die uns trennt. Ein Graben freilich, den wir regelmäßig mit einem gewagten Hechtsprung überwinden und sowohl ernste als auch abgründige Gespräche führen.

Nach zwei Tagen führte mich die nächste Station zu Markus, einem meiner ältesten Freunde und seiner Freundin Anne. Auch wenn der Kontakt lange nicht mehr die Intensität hat wie einst, so stellt sich die Vertrautheit mit einem Fingerschnippen ein. Es gibt wohl Niemanden, der soviel über mich weiß und umgekehrt. Er war an meiner Seite in meinen schwierigsten Zeiten, wir kennen uns inzwischen über 20 Jahre und haben uns wesentlich gegenseitig geprägt.  

nach der Anfahrt im Mafia-Oldtimer von Markus waren wir gerade im Begriff unseren Freund Chris im Krankenhaus zu besuchen. Im Fahrstuhl philosophierten "Luigi" und "Mario" über die adäquate Sonderbehandlung für unseren Klienten ("Hast Du das Kissen, Luigi?") und zogen entsetzte Blicke auf uns. Wenigstens Chris und den Krankenschwestern entlockten wir ein Lächeln...

Die Sache hatte nur einen Haken und das war der unvermeidliche Besuch bei dem Kickers-Auswärtsspiel gegen den VFB. Die Folgen des Besuchs solcher Spiele sind verheerend, vor allem wenn sie auswärts stattfinden und um 14:00 beginnen. Das liegt weniger an dem Spiel selbst, nicht einmal dran, dass wir an diesem sonnigen Samstagnachmittag eine herbe Klatsche kassierten und danach stundenlang von Polizisten bei banalen Gesprächen gefilmt wurden, sondern vielmehr an den üblichen Begleitumständen. So reihte sich ein Bier unvermeidlich an das andere und der wahre Fatalismus begann immer, wenn das Spiel vorbei wir und wir die Stadt erreichten. Dummerweise hatte ich meine Fahrkarte geraucht, so dass wir von Glück sagen konnten, dass wir dort ohne Kontrollen ankamen. Meinen Beteuerungsversuchen, dass ich mit dem Abreißen beider Ecken versucht hätte, das Raum-Zeit-Kontinuum zu überwinden und direkt von Alpha nach Omega zu gelangen, hätte wohl wenig Verständnis gefunden. Noch weniger die nackte Wahrheit, die mir beim Wasserlassen wie Schuppen von den Augen gefallen war. Nun war nichts dagegen einzuwenden, die Eintrittskarte nach dem Debakel  für Filter zu verwenden, aber es war eben auch eine Fahrkarte. Die Schieflage zwischen Theorie und Wirklichkeit unterstrichen die Gorillas, die an der Haltestellte vor der Bahn warteten, an der wir ausstiegen, um Jagd auf potentielle Schwarzfahrer zu machen. Dieser pseudointelektuelle Dünnpfiff hätte sie sich ausreichend provoziert, um mir die Knochen zu brechen.
Doch angesichts der sonstigen Eskapaden, die gerne in einem formidablen Wahn enden, war der Abend verhältnismäßig ruhig und frei von Eskalation. Unser Trio, das von Sebbe ergänzt wurde, blieb den ganzen Abend zusammen und es kam Niemand zu Schaden außer dem guten Niveau. Dennoch sind die Folgen eines solchen Abends immer verheerend, zumal am nächsten Tag die Lesung auf dem Programm stand, wegen der ich mich auf den Weg gemacht hatte. 

Aus der Einladung war inzwischen der Beginn einer richtigen Reise entstanden, denn ich plante einen Freund in Freising heimzusuchen, dem Hof zur bunten Kuh einen weiteren Besuch abzustatten und danach in Berlin aufzuschlagen. 


alles Helge oder was?

Hätten wir keine Karten für die Lesung gehabt, so hätten wir wohl die Segel gestrichen angesichts unseres erbärmlichen Zustands, wie so oft an Katertagen, die wenig Hoffnung boten außer der vagen Erinnerung an einen guten Film. Doch so gab es (glücklicherweise) keine Ausreden und auch wenn massiver Koffein- und der Einsatz von Konterbier keinerlei Effekte außer Herzrasen und zitternden Händen einbrachte, so machten wir uns auf den Weg in den Stuttgarter Westen. Mit im Gepäck meine kompletten Sachen, denn nach der Lesung würde ich wie eine Geisel / Geißel der Menschheit an Gili übergeben, der mich gemeinsam mit Markus eingeladen hatte. 

Erstaunlicherweise hatte ich nie zuvor eine Lesung besucht, und die Tatsache, dass ich angesichts des wartenden Publikums mit Grauen an meine möglichen eigenen Lesungen dachte, machte mich in etwa so nervös, wie Helge, der wie ein Tiger im Außenbereich hin- und herlief. Wir wechselten ein paar Worte und ich war dermaßen verwirrt, dass ich mir vorkam wie ein vorlautes Groupie und nicht den Mund halten konnte. So offenbarte ich ihm, dass ich an meine eigene Lesung dachte.

Die Lesung selbst war großartig. Zunächst sprach Helge eine gefühlte dreiviertel Stunde in einem Monolog über die Ereignisse seiner aktuellen Lesungsreise und die skurrilen Fahrten mit dem Navigationssystem als Feind. Hier war der Profi am Werk. Würde ich mir anmaßen, so lange frei zu sprechen, ich würde mich um Kopf und Kragen reden. Aber Helge macht das schließlich nicht seit gestern. Dann kam sein aktuelles Buch zum Zug: „Die Märchentante, der Sultan, mein Harem und ich“. Da ich viele Bücher von Helge kenne, waren mir der Stil und einige der Orte der Handlung bereits vertraut und es war großartig seinen Worten zu lauschen. Hier ein kleiner Einblick in die aktuelle Lesereise:

 
Helge hat mich immer inspiriert und in meinem Findungsprozess zu meinem eigenen offenherzigen und stellenweise subversiven Erzählstil bestärkt und mich zurück zu Hunter S. Thompson geführt. Ihn kannte ich zwar aus dem Film „Fear and Loathing in Las Vegas“, den ich mit meinem Freund Markus während unserem einjährigen Gastspiel auf einem Internat exzessiv geschaut hatte, mir war aber nicht bewusst, dass es sich bei dem von Jonny Depp verkörperten Protagonisten um einen wahren Charakter handelte, dessen Existenz in dem comicartig erzählten Husarenritt nach Las Vegas real gesehen geradezu unmöglich erschien.

Bei der Signatur meines Buchexemplars war ihm das Ansinnen zur Veröffentlichung meines zweiten Buches noch präsent und so ziert mein Buch ein „Viel Glück dabei!“. Nachdem ich eine Kräutermischung vorbereitet hatte, gesellte ich mich zu ihm an den Tisch und lud ihn ein. „Leute wie du sind an unserem Tisch immer willkommen“ begrüßte er mich und den Geruch, den ich verströmte, lautstark. Ich konterte mit einem „wirkt anziehend wie Dein Haus in Marokko“ um mir nicht noch mehr wie ein "Fanboy" vorzukommen, als ohnehin schon. Helge erzählte, dass er immer vor Lesungen aufgeregt sei und für ihn eine Lesung andernfalls unmöglich sei, da er brennen müsse. Ich wusste genau, was er damit meinte. Am Tisch stand auch eine Freundin, die in seinem Haus in Marokko an der Entzündung der unzähligen Kerzen beteiligt war, ein allabendliches Schauspiel, von dem er in einem Kapitel erzählt hatte. Ich sprach ihn auf seinen Artikel über Hunter S. Thompson an, in dem er ihn ein wenig entzaubert hatte und er berichtete anschaulich von seinem Besuch auf der Ranch des verückt-genialen Waffennarrs. Im Artikel hatte er erklärt, warum Hunter immer Inspiration sein würde, aber kein Vorbild. Ich war zu ähnlichen Schlüssen gekommen, auch ohne dass jemand meiner Freundin LSD in den Sekt träufelte und sie mit Äxten bedrohte. Ich erkundigte mich über die anstehende Reise im Auto seines verstorbenen Vater auf dem Landweg an den Ganges und seinen Besuch in Gangotri, an die Quelle des Ganges und erzählte ihm von der Tempelschließung in Gangotri und meinen Besuchen in Ladakh. 
Auch im Vollkontakt war die Begegnung mit Helge eine Freude. Authentisch, nahbar und lakonisch - ein leidenschaftlicher Autor, mit dem ich mich sehr verbunden fühle. Im Moment lese ich "im Palast der gläsernen Schwäne", das erst kürzlich wiederaufgelegt wurde. Damals war Helge Anfang 30 und war in vielen Punkten einen Schritt weiter: er lebte seine Freiheit konsequent aus, scherte sich wenig um das Urteil von Anderen und zog seinen Weg durch. Natürlich weiß ich nicht, wie oft auch er den Pfad aus den Augen verloren haben mag, aber es spielt keine Rolle. Wir gehören einem "Tribe" an.
Es war ein großartiger, wenn auch kurzer Ausstausch. Leider konnte ich nicht länger bleiben, da Gili und seine Freundin schon lange mit den Füßen scharrten und machte mich auf zu meiner nächsten Zwischenstation. 

Bei Gili fand ich ein letztes Mal Raum durchzuatmen. Das ahnte ich freilich nicht. Auf dem Programm stand noch das Treffen mir meinem ältesten Kumpanen Daniel, aber das ist Verschlusssache. Details unseres Vorlebens führen direkt ins Fegefeuer. Schon in der Grundschule waren wir regelmäßig rausgeflogen und unser letzter Versuch, endlich einmal eine gemeinsame Reise zu starten, hatten wir nach einer Katastrophennacht völlig derangiert nach Rumänien angetreten. Unsere Schutzengel hatten sich monatelang nicht erholt. Der letzte Gastgeber war schließlich Jonas, mit dem ich die erste WG meines Lebens gegründet hatte. Die Folgen waren verheerend. Unsere Räuberhöhle voller Rauchschwaden war ein Jugendhaus, in dem eine halbe Klasse (vorerst) ihren Lebensweg ruinierte.


zum Volk der Bayern

Nach zehn intensiven Tagen zog es mich zu einer Stippvisite zum Volk der Bayern. Ziel war der Besuch eines alten WG-Kumpanen, der inzwischen auf einem Bauernhof in einer 9-er-WG lebt. Mit dem alten Irrwisch hatte ich auch den Wahnsinn unter dem trunkenen Vollmond Koh Phangans begangen. Purer Gonzo-Journalismus. Inzwischen ziert das verrückteste Bild, das ich je geschossen habe und unter Substanzeinfluss während dieses abartigen Treibens entstanden war, seine Krankenkassenkarte. Ich brach in Tränen aus, als ich das sah.  Leider war er nicht in bester Form und so lernte ich L&M kennen, denen ich spontan eine Lesung aus dem „Wahnsinn unter dem Vollmond“ gab. Irgendwann würde auch ich mit einer Lesung fällig sein. Bei diesem Votrag lag etwas in der Luft. Jedenfalls lud ich L ein, mich auf dem Hof zu besuchen, weil ich den Eindruck hatte, dass das gut passen könnte. Ansonsten beobachtete ich die ambitionierten Brauvorgänge von Bier und Apfel- sowie Birnenmost. Im Haupthaus des Vierseitenhofs leben Studenten, der Bauernhof hingegen wird von einem einflussreichen Bauern bewirtschaftet. Nach einer kleinen Radtour zum Weltwald und einem feinen Abschluss mit Chris zog ich weiter.



 zur bunten Kuh reloaded

 


Die Tour führte nun in das Herz Sachsens zu meinen Brüdern und Schwestern von der bunten Kuh. Sofort zog mich die Sogwirkung des Hofes wieder in ihren Bann. Die Tage verbrachte ich mit dem Pflanzen eines Erdbeerfeldes, wir kamen endlich dazu, weiteres Holz aus dem Forst zu schlagen und das vom letzten Einsatz mit Kettensäge, Macheten und Äxten vorbereitete auf den Hof zu bringen. Auch die Kartoffelernte war noch nicht abgeschlossen und das Wintergemüse musste geerntet werden. 


Ich kümmerte mich außerdem um den Nachschub an Feuerholz für den Küchenofen und die Feuertonne. Die Abende verbrachte ich in wunderbarer Gesellschaft und die Nächte im Bauwagen meines Vertrauens; Feuerromantik und wilde Ideen zu Dörrobstimperien inklusive. Die entstanden harmlos, als wir beschlossen eine, roh ungenießbare, Quitte über dem Ofen zu dörren, fand ihren Höhepunkt in einer Kreation aus Reiswaffel mit Bratäpfeln, gekrönt von geschmolzener weißer Schokolade und führte zu absurden Träumen von S-Klassen mit goldenem Dörrobst auf dem Kühler. Die Spreewaldgurkenbarone konnten einpacken. Doch noch ist der Kern der Quittenessenz nicht durchdrungen. 
Doch bei aller Albernheit ist das nicht alles purer Schwachsinn. Denn der Hof ist ein Ort, an dem (viele) Ideen tatsächlich umsetzbar sind. Und auch wenn das Projekt vorläufig nicht mehr einbrachte als ein paar köstlichen Dörrobstfantasien und –kreationen so gären die Ideen ihrem Höhepunkt in mittelfristiger Zukunft entgegen. Ein Dörrofen fand sich jedenfalls schon. Apropos gären; auch die Ideen für Apfel- und Birnenmost waren auf den Hof übertragbar. Und es fand sich auch entsprechendes Equipment auf dem Speicher. Viele Ideen sind eben nicht neu, sondern müssen nur neu belebt werden.

Was das Schreiben angeht, so erscheint mir der Hof auch als ein Quell der Inspiration, gerade um Fiktion oder gar Märchen zu schreiben. Die Frage ist vielmehr, ob sich Gelegenheit findet, diese Ideen auszuführen, angesichts der unzähligen Aufgaben, die danach schreien, dass sich ihnen jemand widmet. In jedem Fall wäre es interessant, einmal die feine Trennlinie zwischen Fiktion und Realität aufzuheben. Denn alles was ich seit vielen Jahren schreibe orientiert sich an meinen tatsächlichen Erlebnissen und der Anteil der Fiktion ist in aller Regel nur in dem Maße vorhanden, in denen wir Menschen als geborene Geschichtenerzähler bereits im Moment des Erlebens mit Phantasie würzen. Und selbst die Gonzo-Phantasien von wilden Kaperfahrten entstanden bereits im Moment der Schifffahrt und wurden nur im Nachhinein weiter ausgeschmückt. Doch komplett zusammenphantasierte Geschichten habe ich zuletzt vor meiner Pubertät verfasst.

Raum für solche Ideen fanden sich meist dann, wenn unsere Körper völlig gerädert von der Arbeit nach Erholung schrien, doch der Geist unruhig nach Psychohygiene verlangte. Und so war es meist der Bauwagen, der mich zu kurzen Anrissen für wilde Phantasien inspirierte. Gut nur, dass ich bei einem solchen Gedankenexperiment angesichts der Kombination vom Rauch des Kamins und dem Sandelholzgeruch eines Räucherstäbchens nicht an einer Kohlenmonoxid-Vergiftung verstarb, weil Philipp mit Entsetzen seinen Bauwagen betrat. Als Inspiration ist dem bipolaren Künstler alles recht. Ob diese abgründigen Geschichten jemals das Licht der Welt erblicken, bleibt abzuwarten.

Es ist immer wieder faszinierend, dass Philipp und mich nach der gemeinsamen Zeit auf dem Traifelberg auf dem Hof wieder zueinander gefunden haben.  


Schon damals hielt er Kulturreferate, die die Aufgabe des Nomadenlebens und die Sesshaftigkeit als Sündenfall des modernen Menschen brandmarken. Stilecht vorgetragen mit einem rosa Schlüpfer als Kopfbedeckung. Kulturpessimismus at it`s best. 

Folgerichtig: vom Philosophen zum Kartoffelbaron:



Mir geht es allerdings nicht um die Rückkehr in die Steinzeit, sondern vielmehr um die Kombination von alten und neuen Ideen zu einem lebenswerten Leben in neuer Solidarität. Auch wenn ich zugeben muss, dass es mich manchmal auch in eine andere Zeit zieht, in der mein Blog aus technischen Möglichkeiten eher auf Steintafeln veröffentlich würde…

Apropos Archaische Zeiten: Unser Barbar war nach einem (ehrenvollen) Schwertkampf in Berlin verschollen. Ob er wiederkommen wird, steht leider in den Sternen. Hoffentlich braucht der Burgvogt nur eine Auszeit.


Gaia ist hingegen mit ihrem neuen Melkstand, der in liebevoller Handarbeit entstanden ist, in der Moderne angekommen und das Melken wird bei schwachem Mondschein sogar von LED-Lampen unterstützt. 
Die zwei Ziegen hatten die traute Gesellschaft mit den Schafen genutzt, um ihnen allerlei Streiche beizubringen, so dass sie in der Zwischenzeit regelmäßig ausbüxten. Sie wurden geradezu renitent und es stand zu befürchten, dass sich Orwells „animal farm“ auf dem Hof realisieren würde. Erst eine Trennung der beiden Revolutionäre von der Herde konnte die Schafe am Ende wieder zur Räson bringen. Wenigstens die Pferde und die Gänse machten keinen Ärger. Wobei die Gruppe der Laufgänse ihrem Namen alle Ehre machten und sich auf die Flucht begeben haben. Gute Reise, Jungs und Mädels!


Am regelmäßig stattfinden Infotag führte ich Interessierte wie selbstverständlich über den Hof zu den Nischenexperten. Längst fühlte es sich nach „unserem“ Projekt an. 


Berliner Streifzüge, Reisedepeschionäre und die Lichtgrenze

Nach intensiven, arbeitsreichen und erfüllenden Tagen brachte mich der Zug in die Hauptstadt. Kontrast pur! Dort kam ich gleich am ersten Abend in den Genuss eines konspirativen Treffens mit zwei meiner Mit-Reisedepeschionäre; es bestätigte, was digitale Korrespondenzen versprochen hatten – wir sind ein gutes Team. Wir philosophierten über die Romantik des Reisens, das Heilsversprechen der digitalen Nomaden, die Ethik des Bloggens und Schreibens und die Fallstricke des Business. Wobei in meinem Fall eher nicht von einem irgendwie gearteten Business zu sprechen ist. Und ich wehre mich auch gegen die vollständige Professionalisierung. Genau das machte für mich doch den Reiz aus. Subjektiv erzählte Geschichten ohne Rücksicht auf Animositäten. Heute sehe ich so viele Blogs, die professionell durchgestylt sind und doch wenig zu erzählen haben. Oft packt mich schon das Grauen, wenn ich die Überschriften sehe: „Die 5 wichtigsten Gründe, warum Du nach xxx musst!“ oder „warum Du sofort alles hinter Dir lassen solltest und reisen musst“ und ähnlicher Schmu. Nun ist mir durchaus bewusst, dass ich da ziemlich enge Grenzen ziehe und manchmal findet sich auch auf solchen Blogs Vernünftiges, aber das ist nicht mein Ding und in meinen Augen nichts anderes als das Bedienen einer Marktlogik und keine Kunst. Natürlich muss nicht jeder so existentiell drauf sein, wie ich es bin und es gibt einen Bedarf nach handfesten Tipps, aber ich kann mir sowas einfach nicht antun. Ich schreibe, weil ich muss, gehe hin wo ich will und möchte Bewusstsein beim Reisen vermitteln und nicht mit „Insider-Tipps“ um mich werfen. Dafür gibt’s den scheiß „Lonely Planet“. So sehe ich das.  Bei meinem Bestreben den Abgrund nicht aus den Augen zu verlieren, bleibe ich aber ein Exot.
Und eines bleibt zu sagen: ich halte es keineswegs grundsätzlich für verwerflich mit dem Bloggen oder Reisejournalismus Geld zu verdienen. Und meine beiden Gesprächspartner sind ein wunderbares Beispiel, das man sich dabei nicht korrumpieren lassen muss. Ich suche nur nach einem anderen Weg, der nicht direkt an irgendeine Industrie geknüpft ist. Zugegeben nicht der leichteste Weg und definitiv einer, der einen großen Preis kostet. Johannes sagte mir, er sei kein Suchender, kein Antikapitalist oder Revolutionär, aber das ändert nichts an meiner Ansicht: er ist ein feiner Mensch, den ich sehr mag. Das Gleiche gilt für Philipp, mit dem ich mich gerne noch etwas weiter unterhalten hätte. Es war ein großartiger Austausch mit Beiden, der irgendwann fortgesetzt gehört! Johannes hatte mir zuvor sein neuestes Projekt, die „Travel Episodes“, gezeigt, einen Multimedia-Blog, der wenige Tage später an die Öffentlichkeit gehen würde und neue Maßstäbe setzt und die Möglichkeiten der Reiseerzählung erheblich erweitert.

Nach einer kurzen Nacht in Schöneberg führte mich ein erster Streifzug durch Berlin. Gleich zu Beginn besuchte ich meine Freundin Wiebke, eine großartige Frau, eine Netzwerkerin, die wahnsinnig viele Menschen und Projekte kennt, die sich einem grundlegenden Wandel hin zu einer nachhaltigeren und gerechteren Welt einsetzen. Ich bewundere sie sehr dafür und wünschte nur, sie hätte mehr Zeit für sich. Aber sie liebt, was sie tut und ohne ihren Einsatz wäre die Welt ein ganzes Stück ärmer! Während sie alte Möbel mit Farbe auf Hochglanz brachte, unterhielt ich sie. 
Danach marschierte ich durch den Gleispark, am Tempelhofer Ufer entlang, wo ich auch die zweite Nacht bei Philipp verbringen würde, bis hinein in die Mitte Berlins. Es war überhaupt erst mein zweiter ernsthafter Besuch in der Hauptstadt.  Vor dem Reichstag erblickte ich einen völlig vereinsamten „Reichsbürger“. Ich hätte fast Mitleid gehabt, wenn deren Ideologie nicht dermaßen rückständig und reaktionär wäre. Kürzlich hatten die Verwirrten durch Xavier Naidoo noch mehr zweifelhaftem Ruhm eingeheimst. Ein Interessierter fragte ihn, ob er sich politisch wieder zurück nach Preußen wünsche. Er antwortet entlarvend genug: „Jein“. In seiner Hand hielt er ein Schild, das seine Zähigkeit unter Beweis stellen sollte. Er rühmte sich ungefähr 500 Tage, die er mit seinem Unsinn ausharrte. Einsamer, verblendeter, trauriger Mann…
Aber auch ich bekomme, aus einem anderen Verständnis heraus, jedes Mal die Krätze vor dem Reichstag angesichts unserer Politik und zog daher schnell weiter, bevor auch mir komische Gedanken kommen konnten. Ich lief den ganzen Tag in der Stadt herum und kehrte abends nur kurz zu Johannes zurück, um mein Zeug nach Tempelhof zu schaffen. 
Dort fasste ich auch den Beschluss, zu meiner eigenen Überraschung nach Leipzig zu fahren. Der Entschluss fiel bei einem Telefonat mit L; die Kontaktaufnahme vom Hof aus war misslungen. Die Art und Weise unserer Unterhaltung veranlasste mich nach zwanzig Minuten Gespräch, ihr meinen Besuch anzukündigen, falls sie nichts dagegen hätte. Hatte sie nicht. Dieser merkwürdige Entschluss sollte mich für einige Tage in Hochstimmung versetzen, auch wenn ich nicht wissen konnte, was mich erwarten würde. Aber, wer nichts wagt, fällt zwar nicht dauernd auf die Schnauze, aber viel zum Gewinnen gibt es auch nicht. Und diese Reise war zwar keineswegs langweilig, konnte aber noch etwas Würze vertragen. Es stand auch im Raum, gemeinsam nach Tschechien zu fahren, womit sich ein gewisser Kreis schließen würde. Denn schon auf dem Weg von München nach Freising hatte ich in einem Zug gesessen, der Prag ansteuerte und auch der Hof war nicht allzu weit von der tschechischen Grenze entfernt. Auf der Reise von Freising nach Chemnitz war ich auf einer wunderschönen Strecke entlang der Grenze durch das Vogtland gefahren und war dabei unweit von dem Ort gewesen, an dem L`s Vater wohnte. Jetzt musste ich nur noch einen Ring stehlen und in einen Kuchen backen. Slowly, slowly, old warrior!  

Am dritten Tag stand der dritte Umzug an und der sympathische Wahn führte mich nach Neukölln, wo ich erneut alte Traifelbergzeiten hochleben lief, diesmal mit Vicky und Sabrina. 


Vicky wohnte in einer sehr interessanten WG und nahm mich auf, obwohl die Vorzeichen nicht perfekt waren. Insgesamt hatte ich gehofft, in Berlin nach einer bis dato anstrengenden Reise etwas Ruhe zu finden, aber es war der Wurm drin. Zwar hatte ich genug Anlaufstellen, aber überall schien Unerwartetes zu geschehen.

Es war keinesfalls Teil meiner Planung, aber die Tatsache, dass am Wochenende das Mauerfalljubiläum stattfinden würde, war von einem ganz eigenen Reiz. Und da ich ohnehin viel Zeit alleine totzuschlagen hatte, da Vicky und Sabrina arbeiten mussten, blieb ich dabei, Berlin auf langen Streifzügen in alter Flanierschule (allerdings ohne Hintergrundwissen) zu erforschen. An zwei Tagen marschierte ich die ganze Strecke an der ehemaligen Mauer ab, die im Rahmen der Feierlichkeiten mit Luftballons, die an Metallständern befestigt waren und mit Einbruch der Dunkelheit erleuchtet wurden, markiert wurde. An den meisten Stellen ist der Mauerverlauf nur noch schwer zu erahnen, und das bot mir die Möglichkeit, mir ansatzweise vorzustellen, wo Berlin bis vor 25 Jahren von einem ideologischen Wettstreit zerteilt wurde. Bereichert wurde der Streckenverlauf mit 100 interessanten Mauergeschichten. Für mich eine wirklich gelungene Idee, um die Teilung noch einmal zu vergegenwärtigen. Bitter stieß mir hingegen auf, dass man den Eindruck gewinnen konnte, als habe man mit dem Beitritt der DDR zu BDR das selige Ende der Geschichte erreicht und auch sonst war der Blick doch sehr von West auf Ost gerichtet. In meinen Augen war es vielmehr an der Zeit, wieder verstärkt über einen dritten Weg nachzudenken, nachdem die Schwächen und Fallstricke des (ungezügelten) Kapitalismus immer deutlicher werden. Aber von der Stadt Berlin Diskussionsansätze für eine neu Arretierung von Gemeingütern und Markt zu verlangen, wäre dann doch etwas viel verlangt. Deutlicher hätte ich mir auch den Hinweis gewünscht auf die anderen bedeutsamen Ereignisse, für die der 9. November in der deutschen Geschichte spielt. Es spricht absolut nichts dagegen, die Ereignisse von 1989 ausgelassen zu feiern, aber die Ereignisse der „Reichsprogromnacht“ dermaßen unter den Tisch fallen zu lassen, fand ich doch ziemlich schäbig. Auch die Märzrevolution 1848 fand an diesem Tag mit der Ermordung Robert Blums den Anfang vom Ende.
Erwähnen möchte ich im Zusammenhang der Feierlichkeiten auch die Aktion des „Zentrums für politische Schönheit“, die  in einer umstrittenen Aktion Gedenkkreuze für die Mauertoten entwendet hatten (bzw. geliehen, denn sie kehrten am Ende der Aktion an ihren angestammten Platz zurück) und sie an den Außengrenzen der europäischen Festung aufgestellt hatten, um auf die Toten aufmerksam zu machen, die die streng gehütete Mauer um Europa herum verursacht. In meinen Augen eine sehr provokative, aber wichtige Aktion. Gerade angesichts der Stimmung gegen Asylbewerber, die bei Veranstaltungen wie „PEGIDA“ und Brandanschlägen gerade wie ein Schreckensgespenst durch Deutschland weht! Europaweit ist der Umgang mit asylsuchenden Menschen eine Schande!

Sehr gut gefiel mir hingegen der Film „Mauerstücke“ der sowohl Schrecken der Teilung als auch die Verdienste der „friedlichen Revolution“, die in ihrer Art bis heute beispiellos geblieben ist, spiegelte. Es war etwas Besonderes, diesen Film gemeinsam mit Zeitzeugen anzuschauen und ich war sehr gerührt von der Atmosphäre, die dabei entstand.

Am Sonntag wurden die Luftballons unter großem Jubel in die Luft entlassen. Die Stimmung an der völlig überfüllten Oberbaumbrücke war großartig und generell schienen mir die Berliner die Veranstaltung positiv aufzunehmen. Die Ballonständer wurden zu begehrten Souvenirs. Die Oberbaumbrücke war mich der schönste Schauplatz auf der ganzen Strecke. Gerade die Brücke selbst und die East Side Gallery wurden durch die beleuchteten Ballons besonders schön in Szene gesetzt.

der Link zu der ganzen Bilderstrecke von der Lichtgrenze findet sich am Ende des Beitrags.
So war der Besuch in Berlin am Ende nicht von Partys oder großen Umtrünken geprägt, sondern von massiven Fußmärschen, der Erinnerung an die friedliche Revolution, die ich als 7-Jähriger im Fernsehen verfolgt hatte, wissend das etwas Großes geschah, freilich ohne die Ereignisse einordnen zu können und dem klassischen Nomadendasein, dessen erste Sorge der nächsten Heimstatt gilt.

Und eines wurde mir spätestens in Berlin klar: dies war keineswegs „nur“ eine vielschichtige Reise durch Deutschland, sondern vielmehr der Beginn von der Vollendung eines großen Kreises. Ich erlebte gerade das letzte Kapitel meines Buches. In diesen Wochen steckte vieles drin, was die Abrundung meiner Geschichte erst möglich machen würde.


Fahrt ins Ungewisse

Die vierte Woche führt mich in ein neues Abenteuer nach Leipzig. Es war ein wunderbares Gefühl, dem ich mich gerne anvertraute. Allerdings waren in L`s WG am Wochenende Dinge vorgefallen, die hier nicht hingehören, aber einen dunklen Schatten vorauswarfen und ich hatte mich schon gefragt, ob ich wirklich noch fahren sollte. Aber kneifen galt nicht und im schlimmsten Fall würde ich eben die Stadt sehen und mir dann schnell etwas anderes einfallen lassen müssen. Jedenfalls war viel von der Anfangseuphorie verloren. Doch als ich in der WG ankam, war die Stimmung zunächst gelöst und ich war wieder frohen Mutes, ein paar schöne Tage zu verbringen. Aber selbst im absoluten Katastrophenfall hätte ich meine Entscheidung nicht bedauert. Ich hatte nichts zu erwarten, war bereit für jede Schandtat und alles andere lag nicht in meiner Hand. Passieren konnte alles. Ich war frei wie ein Vogel und bereit, mich fallen zu lassen und Verantwortung für ein neues Leben zu übernehmen, der Liebe zu folgen oder dem Wind, der mir eine neue Idee zutrug. Ich war bereit, alles auf eine Karte zu setzen. Und diese Bereitschaft, dieses große offene Feld vor mir, machte die Reise zu dem, was sie war. Ich ließ mich in ihrem Sog treiben. Und nun war wieder ein Moment der Wahrheit gekommen.

Zunächst schien alles in bester Ordnung und wir schmiedeten erste Pläne. L`s Mitbewohnerin war ausgesprochen sympathisch und auch ihr Bruder, der die WG komplettierte, stellte sich als angenehmer Zeitgenosse heraus.

Allerdings war der Altersunterschied größer, als ich vermutet hatte; das ich das anders eingeschätzt hatte, lag vor allem daran, das L bereits früh auf eigenen Füßen stehen musste. Und das war auch nicht das eigentliche Problem. Das lag hauptsächlich in den Ereignissen des Wochenendes begründet, die ihr übel mitgespielt hatten und die Dinge bis zu einem Grat verkomplizierten, die die Konstellation ausgesprochen schwierig machten. Ich gab mir alle Mühe, das sportlich zu sehen. Es war nicht ihr Fehler. Allerdings war schon am zweiten Tag offensichtlich, dass ich nicht allzu lang bleiben sollte und auch die Idee von einem Trip nach Tschechien unter diesen Umständen keineswegs sinnvoll erschien. Also nahm ich Kontakt mit dem Hof zur bunten Kuh auf und war erfreut und erleichtert, dass ich dort noch einmal zurückkehren konnte. Damit blieben uns insgesamt vier Tage, die eine absolute Gratwanderungen darstellten, allerdings mit vielen schönen Momenten: wir führten gute Gespräche, sie spielte Gitarre, wir sangen und kochten gemeinsam mit ihrer Mitbewohnerin und deren Cousine außergewöhnlich leckeres Essen, hörten Musik, tranken Glühwein, ich las eigene Texte vor und das alles, wollte ich keineswegs missen. Es lag durchaus einiges in der Luft.

Kompliziert machten meinen Besuch andere Aspekte. Ich kam mir bisweilen vor, als hätte ich mich in einem Spinnennetz verfangen, nur wusste die Spinne (nur um im Bild zu bleiben, ich trage ihr nicht nach) auch nicht recht, was sie mit mir anstellen sollte. Am Ende wußte ich es auch nicht viel besser. Ihre Taktik, um mich und sich bei Räson zu halten, lag in dem exzessiven Konsum von Joints. Solche Extreme waren dann doch schon ein paar Tage her bei mir und ohne all die Emotion, die sich in diesen Tagen aufgestaut hatten, wäre ich wie ein gelähmter Borkenkäfer zu Boden gefallen. Ich fand eher, dass dieser Überkonsum die Dinge verkomplizierte. Denn ich behaupte, ohne zu Übertreiben, dass jeder vernünftige Mann am zweiten Tag weggerannt wäre und im anderen Fall am dritten Tag Amok gelaufen wäre. Ich strahlte hingegen große Ruhe aus (was nun nicht an den Joints lag…) und akzeptierte die Umstände, wie sie waren. Schade war nur, dass ich auf diese Weise, nichts von Leipzig zu sehen bekam und mit meiner guten Stimmung (noch mehr) anzufangen gewusst hätte. Nichtsdestotrotz waren es interessante Tage, die zwar keine Erfüllung brachten, aber eine gewisse Geborgenheit, die mir im Zweifelsfall sowieso wichtiger ist als schnöder Sex. L hatte zweifellos einiges Talent, um mit Männern zu spielen und ich wäre sicher nicht der Erste, der ihr verfallen wäre. Aber ganz so einfach kann man dann doch keine (halbbewussten) Spielchen mit mir spielen; ich stieg bald aus und änderte meine Rollenbesetzung. Ich hatte Hoffnungen, aber eben keine Erwartungen und es lag an mir, die Contenance zu bewahren. Nicht jedes Risiko wird mit dem Hauptgewinn belohnt.

Weil es aber Phasen gab, in denen sie mich ignorierte, weil ihr alles zu viel wurde (verständlich angesichts der Ereignisse, die ich hier nicht zur Sprache bringen kann) oder mir anhören musste, dass ich kein Verständnis habe, platzte auch mir irgendwann der Kragen. Für einen Moment zerriss es mich innerlich; das wollte ich auf keinen Fall an ihr auslassen, auch wenn ihr Verhalten ein wenig ungerecht war. Es war schon einige Zeit her, dass mich überhaupt etwas in solch negative Wallung brachte. Ich brauchte Luft und einen Raum, um mich abzureagieren, also verließ ich die Wohnung wie von Sinnen, nicht ohne mir die Adresse zu notieren, um sie später wiederzufinden. 

Wie im Fieberwahn wankte ich hinaus in die Kälte. Ich lief soweit ich konnte, wohin war mir völlig egal. Nachdem ich einige Kilometer zurückgelegt und mir zwei Bier gekauft hatte, fand ich mich im düsteren Volkspark wieder, pumpte das Bier, hörte Musik und gab mir alle Mühe die Wut rauszulassen, ohne zu eskalieren. Es ist eine früher sehr häufig erlebte Reaktion auf einen tiefen Schmerz, der schon so lange in mir schwärt. Er entspringt vielen Quellen, aber wesentlich ist das Gefühl, einfach nicht die Richtige finden zu können und dem inneren Loch der Einsamkeit, das ich nicht füllen kann - allerdings zwei Dinge, die ich mühsam zu trennen versuche. Nach zwei weiteren Bier war ich zwar immer noch geladen und lief fluchend wieder zurück, aber es war genug Luft aus dem Druckkochkessel entwichen, um danach wieder gentlemanlike die mir zugedachte Rolle in diesem Kammerspiel anzunehmen und nicht als schlechter Verlierer meiner Gutmütigkeit dazustehen, die dann doch im Jähzorn ertrank.

Alles in allem kulminierte die Reise hier erneut, die Gefahr war groß, dass alles auf diesen Höhepunkt zusteuert war und nach der Frustration in einem Scherbenhaufen endete; es wäre nicht das erste Mal gewesen. So war ich stolz darauf, nicht in diese Falle zu tappen. Ich ging am Ende ohne böses Blut, ohne Wut, ohne Enttäuschung, sondern lediglich erleichtert, einen würdigen Abgang hingelegt, mich im Griff gehalten zu haben und diese Achterbahnfahrt der Gefühle abzuschließen.


zu neuen Ufern

Schon die erste herzliche Begrüßung von Bernadita sagte mir, das ich alles richtig gemacht hatte und dies der richtige Abschluss meiner Reise sein würde.

Am nächsten Morgen war es das Schwein, das mich zur Vernunft bringen wollte, indem es herzhaft in meinen Finger biss. Doch ich war auch schon in Hampi vom Affen gebissen worden, ohne Folgen. Andernfalls bietet das Erklärungshilfe für das ein oder andere. 

Mein liebes Wollschwein: Du magst eine seltene Rasse sein, aber sowas geht gar nicht...
Wann immer die Stimme der Vernunft in diesen Tagen durch den Türspalt dringen wollte, schrie ich „bleib draußen!“ und knallte die Tür zu. Denn es war keine Vernunft, sondern der Hohn des Opportunismus. Das war nichts für mich, mein Weg führte mitten durch die Hecke (dort liegt wohl auch der Hof) und das ist der einzige Weg, den ich gehen kann und sollte.
Natürlich liebe ich das Kokettieren, das dürfte dem aufmerksamen Leser dieses Artikels kaum entgangen sind. Man muss ja nicht jede Ironie mit Smileys kennzeichnen. Interessant allemal, wie sich in meinem Leben völlig unrealistisch erscheinende Dinge in die Realität einfügen, aber das macht ein freigeistiges Leben wohl aus und erfordert mehr Haltung, als es bei manch amüsanter Passage scheinen mag.

Es hatte sich schon bei den ersten beiden Besuchen erstaunlich viel entwickelt zwischen der Hofgemeinschaft und mir, es waren Beziehungen organisch gewachsen und nachdem ich von Anfang an mein grundsätzliches Interesse für dieses Projekt bekundet hatte, war schon beim vorigen Besuch die Frage konkreter geworden, ob ich mir vorstellen könnte, einmal länger zu bleiben. Ich bildete mir ein, inzwischen halbwegs realistisch einschätzen, was das bedeuten würde.
Ich will es nicht zu sehr romantisieren. Es gibt Dinge, an denen ich mich reibe und es wird kaum immer eitel Sonnenschein sein können, dafür sind die Aufgaben viel zu fordernd. Der Hof kann manchmal auch negative Energien bis zu einem Grat verstärken, der das enge Zusammenleben schwierig macht. Aber: ich habe mich immer nach so einer Gemeinschaft gesehnt und irgendwie gehörte ich schon dazu. Ich sprach schon länger von „unserem“ Projekt, auch wenn ich mir nicht anmaßen konnte, viel zu verstehen, aber doch ein wenig angesichts der relativ kurzen Zeit, die ich hier verbracht hatte. Und bei all dem, was ich noch zu lernen habe, so gibt es auch Dinge, die ich mit meiner Persönlichkeit einbringen kann und möchte. Und nachdem ich schon zuvor vorsichtig angefragt hatte, so unterbreitete Ina mir nun das konkrete Angebot, im Rahmen eines Bundesfreiwilligendienst auf dem Hof meine Zelte aufzuschlagen. Ja, ich will!


Eines Abends fragte mich Diana, wie ich den Hof sehen würde. Ich erinnere mich nicht mehr an den genauen Wortlaut, aber es war eine große Frage, über die man leicht stolpern kann; allerdings war es keine Fangfrage. Für mich gibt es zwei besonders wichtige Punkte: ich finde das Projekt großartig und die Aufhebung der Trennung von Arbeits- und Lebensraum attraktiv, aber genau das kann auch zu weit gehen. Denn jeder hat auch noch seine eigenen Baustellen. Ich sehe eine große Herausforderung und Notwendigkeit darin, auch wieder Räume zu schaffen, in denen man ganz privat sein kann, um Entspannungsphasen zu schaffen, ohne die die Anspannung auf Dauer zu groß wird und die Gefahr riesig ist, auszubrennen. Das hängt natürlich wesentlich davon ab, welche Menschen sich in Zukunft für das Projekt begeistern können, und in wieweit die unglaublich zehrende und vielfältige Arbeit auf mehr Schultern verteilt werden kann.

Ich denke, dass es generell in unseren „fortschrittlichen“ Gesellschaften eine riesige Bedürftigkeit gibt – nach echten Begegnungen, nach Zeit, nach Zärtlichkeit und Geborgenheit. Alles Dinge, die im Konkurrenzkampf immer mehr auf der Strecke bleiben. Das nach außen zu signalisieren ist ein wichtiger Schritt, aber er reicht nicht. Denn von wem wollen wir diese Zuwendung erwarten, wenn wir sie alle selbst zuallererst einfordern? Das das ein Paradoxon. Hier schlummert eine riesige persönliche Herausforderung. Ich glaube, dass wir zuerst lieben lernen müssen, bevor wir geliebt werden können, wir müssen wieder lernen zu schenken, bevor wir beschenkt werden, wir müssen die Marktlogik überwinden, die jede Schenkbeziehung unterhöhlt und in einen Marktwert pervertiert hat. Aus diesem Verwertungssystem müssen wir uns befreien. Denn es steckt tief in Allem, ganz gleich ob wir diese scheinbare Logik intellektuell durchdrungen haben oder nicht. Diese Prägung ist massiv, unsere Erwartungen riesig.
Erst wenn wir diesen Weg gehen, können wir dorthin gelangen, wohin wir uns wünschen, hin zu einem erfüllten Leben in Gemeinschaft. Das gilt genauso für mich.

Doch kurz nochmal einen Gang runter. Mit Simon war ich endlich einmal bei der Auslieferung unseres Gemüses an die Ernteteiler mit dabei. Neben der menschlichen Gemeinschaft ist das Gemüse DER Kern des Hofes. Sowohl wirtschaftlich, als auch um den Gedanken der solidarischen Landwirtschaft in die Städte und die Region zu tragen. So kam ich dazu, endlich ein wenig von Chemnitz zu sehen. Lustig übrigens, dass ich in ENGELSkirchen geboren war, wo Friedrich Engels seine Textil-Fabrik besaß und nun bei KARL-MARX-Stadt landen würde, aber das nur am Rande. 
In Kaßberg lieferten wir an ein früher besetztes und nun selbstverwaltetes Haus, das mit wunderschönen Graffitis geschmückt ist. Sonst erschien mir unsere Tour angesichts versteckter Schlüssel und skurriler Innenhöfe wie die Inkassotour einer Gangsterbande. Tatsächlich hatten wir gesundes Gemüse im Gepäck.

Bei einem späteren Besuch in der traditionellen Einkaufsstraße von Chemnitz war eines unübersehbar: wo an vergleichbarer Stelle fast überall in Deutschland die Glitzerfassaden der immer gleichen Konzerne leuchten, erblickte ich in einem der wenigen Schaufenster Schnürsenkel im Angebot. Graffiti beherrscht die Straße an vielen Stellen und bei einer Reihe von Kneipen konnte ich beim besten Willen nicht entscheiden, ob sie abends zum Leben erwachen würden oder seit Jahren geschlossen sind. Simon sagte, dass die Straße dabei gewesen war, sich auf eine organische Weise zu beleben, was aber nicht im Sinne der Stadtplaner war. Gewünscht ist eine typische Einkaufsstraße. Während Leipzig, Dresden und Chemnitz einst ein Dreieck von bedeutenden Großstädten bildeten, so wurde Chemnitz inzwischen deutlich abgehängt. Die Abwanderung in Sachsen, in deren Verlauf seit der Wende eine Million Menschen dem Freistaat den Rücken gekehrt haben, hat Chemnitz ganz offensichtlich besonders hart getroffen. In der Stadt stehen viele Häuser leer. Ob sich irgendwann, wenn der Boom in Dresden und Leipzig gekippt ist, auch in Chemnitz etwas Vergleichbares entwickeln wird, steht in den Sternen. Potential ist in jedem Fall vorhanden; es gibt viele interessante alte Gebäude. Welcher Ort wäre mehr prädestiniert für einen Strukturwandel?

Wieder zum Hof. Ich hätte lange nicht vermutet, mich in einem Projekt wiederzufinden, dass so viele anarchistische Züge aufweist. Dabei ist das am Ende folgerichtig. Schon Occupy transportierte viele anarchistische Ideen. Und auch wenn ich mich mit einigen Elementen immer gerieben habe und sicher auch weiter reiben werde, so ist die Entwicklung in diese Richtung fast logisch. Persönlich habe ich schon immer (starre) Hierarchien und Herrschaft abgelehnt. Für mich ergibt sich Ordnung durch das, was der einzelne kann und bereit ist, in die Gemeinschaft einzubringen. Und nachdem ich inzwischen fast keine Hoffnungen mehr darauf setze, dass die Sozialdemokratie zu ihren Ursprüngen zurückfindet, ist der Schwenk zur kleinteiligen Selbstorganisation, mit allenfalls flachen Hierarchien und dem Ziel, autark zu werden und Modelle für die Zukunft zu entwickeln, geradezu zwingend. Doch ich muss zugeben, dass erst die Praxis eine Probe aufs Exempel sein kann: Halte ich als Eigenbrödler die Gemeinschaft und alles, was sich aus ihr ergibt, aus? Wird dem Wandervogel die (zumindest temporäre) Sesshaftigkeit gelingen? Das sind Fragen, die ich mir beantworten möchte. Das kann nur für ein Projekt gelingen, für das ich brenne; dann kann ich auch Dinge überwinden, die mir schwerfallen. Ich bin überzeugt von den Menschen in der Hofgemeinschaft und der Aufgabe, der wir uns verschrieben haben. Alles andere kann nur die Zeit zeigen. Es wird eine große Herausforderung für mich sein, eine Balance zwischen Gemeinschaft und Momenten des Alleinseins, aus denen ich auch Kraft ziehe, zu finden. Eine Herausforderung, die auch auf dem Hof immer wieder auf der Tagesordnung steht. Ich hoffe, dafür Impulse geben zu können und mit den Anderen neue Räume aufzutun. Ich sehe meine Aufgabe keineswegs auf einen Bereich, eine Nische, beschränkt, sondern möchte mich auch dem Aspekt „Bildungsraum“ ausgiebig widmen. Aber bei allen Ideen, die mich umtreiben, ich werde zunächst meinen Platz finden müssen. Zuallererst bin ich bereit zu lernen und möchte mit meinen Aufgaben wachsen.

Es gibt einen Ort, der mich besonders anspricht und das ist das kleine Stück Wald. Dort habe ich mir einen „Claim“ abgesteckt, wie das einst die Goldsucher am Klondike machten, allerdings doch ein wenig bescheidener. Hier möchte ich mir einen Rückzugsraum schaffen. Und so werde ich die alten Indianerweisheiten zu Rate ziehen, um zu entscheiden, wie ich diesen Raum würdig nutzen kann.
Von dort aus rief ich einige Freunde an, um ihnen von meinem Beschluss zu erzählen, der nun auch durch eine konkrete Bewerbung untermauert war. Selbst meine Freunde waren ein wenig erstaunt von meinen Expeditionen zu den „inneren Quellen der Zschopau“ zu erfahren, von meinem Vorhaben mir im Wald ein Refugium anzulegen und dem Beschluss mich im Außenministerium zu engagieren. Natürlich ist das wieder mit etwas Karikatur überzogen, aber mal sehen ob die Realität das nicht sogar überbieten kann. Danach fuhr ich mit dem Fahrrad in die „Teufelsschlucht“, um zu meditieren.

Den interessanten Kulturraum Mittelsachsens kennen zu lernen, wird eines meiner Ziele sein, um die Möglichkeiten erkunden, die in der Region liegen und mich ein wenig zu beheimaten. Ansonsten bin ich gespannt, welche Kooperationen auch überregional möglich sind. 

Abgesehen von diesen Planspielen nutzte die Gelegenheit, um ein paar Geschichten an der Feuertonne vorzutragen. Diese Geschichten wollen vollendet sein, bevor ein neues Kapitel beginnt.

Es war ein „Blutmond“ (O-Ton Philipp), der mich beim ersten Besuch verabschiedete, diesmal waren es Lichter über dem Feld, die im Rahmen des Unwetters wirkten, als wäre ein Wetterleuchten auf Speed. Als Außenminister verließ ich den Bauwagen, um den eventuellen Erstkontakt, anzuleiern. Irgendwie hätte die Landung von Außerirdischen bei den bunten Kühen ganz gut gepasst. So lief ich mit der Stirnlampe, deren Licht den Sprühregen in Kaskaden vor meinem Gesichtsfeld tanzen ließ, durch den Garten dem Unbekannten entgegen und auch wenn es am Ende wohl nichts weiter war als eine Lichtershow in der Umgebung, so dachte ich in diesem Moment, dass ich auf diese Scholle gehöre.

Am Ende verabschiedete ich mich vorerst von meiner Zukunft und den Menschen, die mir bereits ans Herz gewachsen sind und fuhr mit Ina nach Kassel und von dort aus weiter mit dem Zug zurück nach Bremen. 


Epilog

Es war eine Reise voller Begegnungen, Emotionen, Inspirationen und Entdeckungen, ein weiterer Höhepunkt auf meiner Lebensreise. Es waren unglaublich intensive, ereignisreiche, herausfordernde und beglückende Momente, die ich "on the road" erleben durfte. Eine großartige Reise voller interessanter Geschichten, Gespräche und Momenten tiefer Verbundenheit. Ich möchte mich ganz herzlich bedanken bei all den wunderbaren Menschen, die mir unterwegs (wieder)begegnet sind!

Nun nähert sich ein Lebensabschnitt seinem Ende und ein neuer Kreis öffnet sich für mich. Es ist an der Zeit, noch mehr Verantwortung für ein Leben nach meinen Vorstellungen zu übernehmen, und für die Veränderungen hin zu einer nachhaltigeren Welt, die mir so sehr am Herzen liegt, Impulse zu geben. Mit dem, was ich zu geben habe, einzustehen. Mit all den Dingen, die ich noch zu lernen habe. Ich will Menschen um mich zu wissen, die auf mich zählen können, und auf die ich zählen kann. Es stehen große Veränderungen vor mir, doch ich freue mich auf die Zeitenwende, die bereits angebrochen ist.

Noch ist die Geschichte nicht in trockenen Tüchern, aber es deutet alles daraufhin, dass ich mich ab März im Freistaat Sachsen zeitweilig wieder sesshaft machen werde.

Jetzt gilt es weiter am Abschluss meines Buches zu arbeiten und die verbleibende Zeit zu nutzen, um noch einmal auf Tour zu gehen. Unmittelbar nach Weihnachten geht es nach Marokko. One-way. Diesmal nicht alleine, sondern in Begleitung von Julija, einer Lettin, mit der ich mich einen Abend lang in Ladakh unterhalten habe, und mit der ich in Kontakt geblieben bin. Man muss ja auch mal was riskieren. Der Wunsch, noch viel mehr von der Welt zu sehen ist ungebrochen und das Reisen wird sicherlich auch in Zukunft fortgeführt. Aber im März werde ich wieder da sein, denn ich stehe zu meinem Wort und freue mich auf die Gemeinschaft und die Erfahrungen bei den bunten Kühen.

Es bleibt spannend…


Weiterführende Links:


Anhängen möchte ich zwei Artikel aus dem Freitag von zwei Aktivisten, die sich den Themen Anarchismus und Gemeinwohlökonomie widmen und die ich als Anregung empfehlen kann. Ich persönlich empfinde diese Entwicklungen als esentiell, unabhängig davon, ob solche Modelle nun für jeden taugen müssen. Wahrscheinlicher ist wohl, dass alternative und etablierte Modelle noch länger nebeneinander bestehen werden. Erst dann können die Menschen entscheiden, was ihnen persönlich am meisten zusagt.




Gemeinsame Ökonomie - Warum sollen wir die negativen Effekte des Kapitalismus heilen, wenn wir sie gleich ganz abschaffen können? Ein Beispiel für eine humanere Form des Wirtschaftens...



Antikapitalismus - Für Viele scheint das Ende des Kapitalismus nur mit Verzicht und der Rückkehr in die Steinzeit einher zugehen. Dabei haben anarchistische Gegenentwürfe einiges zu bieten...